> , 1 • > i ■ -V • . -. ■
^■i
ß
£174 r
645
Digitized by Ihe Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto"
http://www.archive.org/details/vorlesungenberOObend
Lazarus Bendavjd's
VORLESUNGEN
ÜBER D I S
CRITIK DER PRACTISCHEN VERNUNFT.
(N«bß tintr Rede Über den Zweck der critlfchen Philofophie ,
und doppeltem RegtJier.J
Erat ratio profecta a reruni natura & ad rectum facienda
iinpellens & a delicto avocans : quae non tum deiiique
incipit lex efle cum fcripta efl: , fed tum cum orta ed.
Orta autem limul efl: cum mente divina , quam ob rem
lex Vera atque princeps apta ad jubendum & ad ve-
tandum ratio eft recta fummi Jovis.
Cicero de leg, l. II. c. IV. lo.
Wien, 1796.
jbey Jofeph Stahel and Compagni.
■Q,
^kt
^
§32827
Vorrede,
i^ey der Bearbeitung der Critik der practi-
fchen Vernunft habe ich mir das nähmliche
Ziel vorgefetzt , als bey der Bearbeitung der
Critik der reinen Vernunft. Aber hier war
diefs Ziel nicht fo leicht zu erreichen. Aufs er
dafs Keiner nieiner Vorgänger das practifche
Gefetz fo dargeßellt hat, als Kant es ßch ^
meiner Meynung nach , dachte ; aufser dafs
man es getoöhnlich von dem Begriffe der
X 2
JSlerifchhcit abzuleiten ^ oder es auf den Satz
des H^ideifpruches ziirilchzufiihren fliehte •— .
ivelche hcyde T^^ege dem geradezu widerfpre-
chen, IV as Kajit in der ßletaphyßk der Sitten
lehrt — liegt hier noch eine andere Schwierig»
keit im IVege^
Kant i als Krßnder feiner Theorie darf,»
te Sätze anticipiren ^ die er in der Folge be-r
ivies , durfte Wörter als bekannt , Sätze als
eingeßanden varausßtzen^ die der Anfänger
iveder kennte noch zugibt, Ueberdicfs wollte
Er , felhjt in der Behandlungsart feines Ge-
genßandes zeigen , dafs er gerade das IVider»
fpiel des der j einen Vernunft Jey^
Das erße zu ihun , tvnr mir nicht erlaubt ^
das letzte nicht möglich. Ich durfte nichts
vorausfetzen , und mnfste daher die feine i\^-
hcnabßeht fahren lajfen , die Ka n t mit der
Anordnung der Materien heüeltc. Daher
ßndet man die B eg r iffe der p, V. vor der
Deduction der Grund/ätze ; daher vermifst
man den Theil der critifchen Beleuchtung ^
der die Methode betrifft,
Diefe gleich/am nothtvendigen Ah linder
rungen bedürfen lutit weniger der Enffchul'
^igiing , als die , ivelche ich , vielleicht eigen'
mächtig vorgenommen» So habe ich den Aus^
druck Achtung vor dem Qefetze vermieden, und
ihn ßets mit Achtung vor der Perfon , die das
Gefetz ausübt, vertaufcht. Ich iveifs nicht ,
ob ich recht fehe ; aber alle Perfonißcirung
fchadet der Sittenlehre , kann leicht aus ihr
ei/t Spiel der Einbildungskraft machen, und
auf Schwä'rmerey f Ihren.
Freylich iß der Ausdruck Unterwerfung
}mier das Gefetz , den ich beybehieli^ , nicht
X3
viel hejfcr. Aber voti ihm weiß mmi fchon ■,
was er Jagen tvill: ilhe das Gefetz aus^ ohne
viel darüber zu klügeln; da hingegen der Bc-
griff Achtung vor dem Gefetze, mich wenig
ßcns , auf den ISebenbegriff einer hlofs äuf
fcrn Achtung zu leiten fcheint.
Als Syßem, als feßes für fich heßchen»
des Gebäude, fehlen es mir auch weder der
Strebepfeiler der Auctoritäten, 7ioch des Tl^ar-
nungskreuzes (la croix de mauvais augure.
Boileau.) der Polemik zu bedürfen; undfo
blieb der eigentliche litterarifche Theil faß
ganz weg.
Endlich habe ich auch den Theil der cri-
tifchen Beleuchtung nicht aufgenommen, der
gewijfe Zivcifel beantworten fall. Lefe die
Beantwortung . ruer fich diefe Einwürfe z'i
machen , im Stande iß , in Kants Werk
{S. 168. fi</-) fill>ß nach y und ivenn fie ihn
befriedigt , ivilL ich Dank wijfen , wenn er mir
feine Gedanken mittheilcn luill. Ich kann iJim
hierin nicht als Wegtveifer dienen , da ich
die Antwort nicJit fo völlig zu der meinigen
machen kann ^ um nicht gezivungen zu feyn^
mich ztvifchen Kant und mir feil ft gewaltfam
durchzudrängen. Für die Welt heißt das
freylich als drängte ich mich zwifchen einem
Jßlephanten und einem TVurme durch: wo
darin der Widerßand ^ von der einen Seite ^
nicht fonder lieh grofs iß. Aber ich , fiXr mich,
ß ehe mir nun einmahl nahe genug y um mich,
nicht vergröjjert — bey Gott , das gefchieht
nicht , und jeder y der mich kennt ^ wird mir
diefs Zeugnifs ablegen — doch in alltäglicher^
gewöhnlicher JMenfchengröfse zu fehen , und
den IViderßand zu fühlen. Beffer alfo ich
ßelle etwas gar nicht , denn falfch dar: fo
dacht'' ich. Verarge es mir^ wer die Probe fchon.
beßandcn hat : er gchöj't gcicijs unter dit*
Zahl der Auserwählteii , zu der zu zählen, ick
mich nicht vermcjfe , und von der verdammt
zu werden , ich nicht fürchtet
im Dßcember 179s <
REDE
ÜBER DEN
ZWECK DER CRITISCHEN PHILOSOPHIE.
(Gehalten den 1$. Dec. I^^S.J
1
Meine hochzuehrende Herren i
F<
ür das Zutrauen , das Sie die Güte habea
mir zu fchenken , glaube ich Ihnen nicht belTer
danken zu können , als wenn ich Sie , gleich ia
der erften Stunde unferer Zufammenkunft , mit
dem Zwecke bekannt mache , wefshalb wir zu-
fammenkommen.
Drey Fragen hat fich wohl jeder Menfch ,
mehr oder weniger deutlich ^ ein Malü in feinem
Leben aufgeworfen :
Was kann ich wiffen?
Was foll ich thun ?
Was darf ich hoffen?
tVas kann ich wißen ? -— Was kann ich
Willen? ganz was anders, als was weifs ich-
a »
(4)
oder was wiffen die Menfclien überhaupt?
Diefe letzte Frage läfst ficJi nur durch die Er-
fahrung beantworten , wenn fie gar heantwortlich
ift. Man miifste alle Erkenntnifs der Menfchen
von dem einen Ende der Erde bis zum andern
fammeln , um ein voUftändiges Verzeichnifs von
dem erhalten zu können , was die Menlclien
wirklich wiffen.
Dafs diefe Antwort nur für den Augenblick
gültig wäre , in dem fie gegeben wird , werden
Sie, m. H, ! wohl, ohne mein Erinnern, einfe-
lien. In dem zunächft anftoffenden Augenblicke
kann jemand eine Entdeckung machen, welche
die Erkenntnifs der Menfchen ungemein berei-
chert , und von der man vorher fo wenig wufs-
te, dafs man (ie nicht einmahl als möglich in
das Verzeichnifs aufbrachte.
So aber wie die Antwort auf die Frage :
was wilFcn die Menfchen? jeden Augenblick ab-
geändert werden niufs ; eben fo und noch weni.
ger könnte die Frage : was kann der Menfch
wiffen ? allgemein beantwortet werden , follte
blols die Erfahrung uns zu diefer Antwort füh-
ren. Was kann der Menfch wilfen , heilst,
was ift ihm zu wiffen möglich? Hierin, auf
die Einficht diefer Möglichkeit, kann uns die
(3)
Erfahrung gar nicht leiten. Wenn wir auch
gleich erfahren , was die Menfchen wilTcn ; fo ift
doch dadurch noch bej weitem nicht beltimmt ,
was fie wilTen können. Wie wollen wir aus
dem , was die Gegenwart gebührt erfahren , wo«
mit die Zukunft fchwanger geht; wie erfahren
aus dem was jetzt nicht ist, dafs es auch
nie feyn werde? Kästner und Kant
fcheinen uns, in ihren Fächern, den höchften
Grad menfchlicher Erkenntnifs erreicht zu haben ;
aber jeder von uns fieht wohl leicht ein , dafs diefs
gar keinen Maafsftab für die Männer der Zukunft
enthält. Der Fortfchrittder menfchlichen Ausbil-
dung lafstfogar vermuthen, dafs auf die Schultern
diefer Riefen, Zwerge oder Riefen, gleichviel!
fteigen , und weiter fehen werden , als fie bej'de.
Wenn alfo unfere Frage : was kann der
Menfch willen , beantwortet werden m u fs , fe-
ilen wir fchon fo viel ein , dafs fie nicht aus dey
Erfahrimg beantwortet werden könne.
Wenn fie mufs. Mufs fie denn? Dlefs
fcheint vorauszufetzen , dafs wir fchon von dem
Satze überzeugt find : der Menfch könne einiges
Wifi'en , und einiges niclit wiflen ; und nun fra-
gen wir nur : was kann er wifien , und was nicht ;
fragen: wie weit reicht die Grenze feines Er-
a 3
(6)
kenntnifsvermogens? Aber werbercchtigt uns zu
diefer Vorausfetzung ? vielleicht gibt es gar kei^
ne Grenze der menfclilichen Erkenntnifs , viel-
leicht. ilt derMenfch im Stande, alles zu wifTen?
Diefe letzte Vermuthung fcheint fogar durch
die Mathematik beftätigt zu werden. Es mufs
jedem von uns fonderbar vorkommen, wenn man
die Frage aufwerfen wollte: wie weit kann es
ein Menfch in der Mathematik bringen? Man
wird antworten : das lalle fich gar nicht beftim.
rncn ; und daher wird man vielleicht fchliefTen ,
dafs fich auch unfere Frage gar nicht beantwor,
ten lalTe.
Allein, fo wahr es auch iß , dafs derFort-
fchritt in der Mathematik den die Menfchen zu
machen im Stande find , gar nicht voraus be-
ftinimt werden kann; fo wahr ift es doch von
der andern Seite , dafs felbfi diefe Wiffenfchaft
eine Grenze habe , über die hinaus der befte
Kopf, mit blofs mathematifcheu Sätzen, nichts
ausrichten wird.
Denn fehen Sie, m. H. der Mathematiker
befchäftigt fich das Verhältnifs derjenigen Gröf-
fen gegen einander zu beftimmen , deren Dafeya
ihm fchon gegeben ifi : wenn ihm Linien , dem
(7)
Dafeyft nach, gegeben find, lehrt er, wie fie
fich gegen einander verhallen müfTen , um ein
J3rejeck u. d. gl. daraus zu bilden ; wenn ihm
der Mond unddeflen Bewegung gegeben ifr, lehrt
er, wie diefe Bewegung fich gegen jede andere,
ebenfalls gegebne Bewegung, verhalte, und fo
in allen Fällen. So weit alfo , nur über dieEr-
kenntnifs vom Verhältnifs der Gröfsen, er-
fireckt fich das Gebieth des Mathematikers, diefs
allein kann er , mit Hülfe der Mathematik wif-
fen, und diefs allein liegt innerhalb der Grenze
feiner Wifienfchaft. Vom Dafejn der Gröfsen
etwas zu behaupten , mafsen fich die Rechnun-
gen eines Eul er s undLaGranges nicht an.
Alfo! Was kann der Menfch als Mathe-
matiker wifien ? Diefe Frage hatte fchon ihre
Antwort. Alles, was auf das Verhältnifs der
Gröfsen Bezug hat ; nicht das Mindefie , was
ihre anderweitigen Eigenfchaften , wodurch wir
%''on ihrem Dafejn überführt werden , betrifft.
Die Philofophie fcheint weiter zu gehen ,
als die Mathematik : fie will auch über das Da-
fejn der Dinge entfcheiden. Ihre bejden Sätze,
der Satz des Widerfpruches und Emfiimmung ,
follen uns belehren, was wahr ist und was
falfch i s t, Das i s t wahr , fagt die Logik ,
a 4
( 8 )
Tv-as nach 6em Satze der Einftimmung gedacht
wird; das ist falfch, was einen Widerfpruch
enthält.
Die Philofophie erkennt demnach ihreAus-
fpriiche für Gefetze des Dafeyns der Dinge : fie
glaubt, dafs die Dinge fo oder anders sind,
weil lie fich diefelbe fo oder anders denkt.
Wäre diefs im Itrengfien Sinne des Wortes
wahr, existirte alles wirklich fo wie wir es
denken, fobald nur kein Widerfpruch im Den-
ken begangen wird; fo liätte die Philofophie gar
keine Grenze: der Menfch könnte Alles wif-
fen. Wodurch follte diefs WifTen eingefchrankt
werden? Der Mathematik befchrieb die Philo-
fophie ihre Grenze , indem fie zeigte , das Ge-
bieth diefer Wiffenrchaft eiftrecke lieh nicht auf
das Dafeyn der Dinge. Aber wenn die Philo-
fopliie auch das Dafeyn der Dinge umfafst, und
alles ohne Widerfpruch Gedachte , fchon durch
diefe Denkbarkeit fein Dafeyn erhalten foll ; fo
kann das Gebieih der Weltweisheit keine Gren-
ze haben , mufs es fich ins Unendliche erßre-
cken. Eben fo wenig als es fich in der Mathe-
matik angeben lafst , wie weit der Menfch es in
der Einficht von dem V er hältni fs e der Gröf-
fen bringen werde, indem hier wirkJich ein un-
C9 )
begrenztes Feld zu überfehen vor ihm liegt;
eben fo wenig fcheint es ficli von der Einficlit
indasDaIejn der Dinge durch logifche Schlüfse,
ausmachen zu lafTen , wie weit fie gehen werde,
oder könne ?
Und doch werden Sie m. H. diefe letzte
Behauptung zuzugeben fich fehr firauben. Die
tägliche Erfahrung liefert Ihnen Beyfpiele genug,
wodurch der Satz widerlegt werden kann: dafs
eine Sache , die ohne VViderfpruch gedacht Avird,
defshalb fchon Dafeyn erhalte, weil fie richtig
zufammengedacht worden. jMur eins unter vie-
len zu wählen , erzähle man Ihnen von einem
JNlenfchen z. B. verfchiedene Handluncen die
feinen Character genau bezeichenen , befclireibe
Ihnen feinen Körperbau, feine Gefichtszüge,
alles aufs Deutlichlte , dafs Sie fich nun den Men-
fchen, wie wenn er vor Ihnen ftande, denken.
Sie haben jeden Widerfpruch bej diefer Zufam-
menfetzung vermieden. Haben fie ihm dadurch
Exißenz gegeben ? Gewifs nicht : jeder Held aus
einem gut gefchriebenen Romane, die GrandiCo-
ne und Rendoms müfsten auf eben diefe Weif?
exiftiren.
Nicht eher exißirt diefer Menfch wirklich
für Sie, m, H, als bis Sie ihn auf irgend eine
a 5
( lO )
Art in Erfahrung bringen können: es ley nun
dafs Sie ihn felbft gefehen , oder jemand Ihnen
in vollem ErnR. verfichert , (offenbart) dafs er
ihn -gefehen.
Das blofse, felbft von Widerfpruch entblöfs-
te Denken , gibt dem Menfchen alfo noch kein
Dafeyn : es mufs noch etwas zum Denken hinzu«
kommen , ehe wir überzeugt feyn können , dafs
der gedachte Menfch , auch ein e x i s t i r e n-
der Menfch fey; und zwar mufs , in unferm
Falle , zu dem von Widerfpruch entblÖfsten
Gedanken, noch die Erfahrung, oder die
Möglichkeit der Erfahrung hinzukommen , ehe
wir behaupten können , dafs wir vom Dafeyn
des gedachten Menfchen überzeugt find. Wie
aber , wenn das nun ßets der Fall wäre , wenn
wir nichts eher von dem Dafeyn einer Sache
^iffen könnten , als bis fie in Erfahrung gebracht
werden kann ?
Nun werden Sie m. H. unfere erfie Frage
hoffentlich verftehen. Was kann der Menfch
wiffen , heifst : ifl: es nothwendig , dafs wir zur
Ueberzeugung vom Dafeyn einer Sache ftets an
der Hand der — wenn auch nicht eigenen —
Erfahrung gehen müfsen ; oder können wir bey
ynanchen Sachen die Möglichkeit der Erfahrung
( 11 )
entbehren , und un,s vom Dafejn derfelben durcU
blofs fclmlgerechte Schlüfse überzeugen. Mit
andern Wort2n : Ift die Grenze menfchlicher Er.
kenntnifs über das Dafeyn der üinge, durch die
Möglichkeit der Erfahrung gedeckt; oder reicht
unfere Logik über die Erfahrung hinaus, und be-
lehrt fie uns über der Sachen Dafejn , wenn auch
weder wir, noch andere fie je in Erfahrung ge-»
bracJit hätten ?
■Fafl: eine ähnliche Bewandnifs hat es mit
unfercr zweiten Frage: Was Joll ich thuji? —
Auch hier wird nicht gefragt: was thun die
Menfchen ? noch: was können iie thun; fon-
dern: was foll der Menich thun? Auf die er-
lien, hier nicht gemeynten Fragen, möchte wohl
die Antwort fejn : Gutes und Böfes , je nachdem
es kommt. Der feinen Nebenmenfchen beein-
trächtigt, begeht eine böfe Handlung; der ihn
unterftüzt eine gute. Beydes gefchieht in
der Welt ; und zu bej^den Handlungen haben die
Menfchen die Fähiinkeit — die Handlung fowohl,
als das Gegentheil können die Menfchen
thun.
( 12 )
Sonderbar aber doch ift es, dafs diefe fo
einfache Antwort auf die bejden erwähnten
Fragen , fchon die Beantwortung unferer erllen
Frage : was foll nähmlich der Menfch thun ?
Ilillfchwoigend vorausfetzt. Sobald wir fagent
die Beeinträchtigung eines Menfchen fey eine
böfe That , die Unterflützung eines Menfchen ei-
ne gute, muffen wir doch wilfen , was gut und
was böfe fej, miilTen wilfen , dafs er das eine
thun, das andere unterlaffen foll, und muffen
daher fchon im Befitze der Antwort auf die Fra-
ge [eyn: was foll der Menfch thun? Denn die
Ausdrücke einer guten oder böfen Handlung,
lieiffen doch nichts anders , als dafs der Menfch
die erfte thun foll, die andere unterlalTen foll;
und da entlieht nun die Frage ; woher wilfen
wir was der Menfch thun foll, um diefs gut,
jenes böfe zu nennen?
Aus der Erfahrung wird man vielleicht glau-
ben. Wenn man nähmlich die heilfamen oder
Ichädlichen Folgen einer Handlung hat kennen
lernen ; fo wird fie von uns auch , im erlten
Falle , für gut , im zAvejten für böfe erkannt
werden: fo etwa, wie der Arzt eine Speife aus
ihren Folgen beurtheilt , und die eine gut, die
^jndere böl'e heifst , wenn die erfte leicht, die
;»ndere fchwer zu verdauen ift.
C ^3 )
Allein eine kleine Betrachtung witd Sie ,
hl. H. fehr bald überführen, dafs die Erfahrung
uns hierin gar nicht zur Führerinn dienen könne,
und dafs wir Handlungen mit dem Nahmen gut
oder böfe belegen , ohne auf die Folgen zu felien,
die aus ihnen entfpringen. Cajus läugnet z, B.
ein Depoütum ab , das ihm Titius anvertraut
hat ; läugnet es ab , ohne dafs ihn diefer vor Ge-
richt forderte — denn er hat nicht das mindefie
aufzuweifen — noch davon fprechen könnte,
wenn er fich nicht felblt, wegen feiner Unvorfich-
tigkeit , lächerlich machen , oder wohl gar für
einen Verläumder gehalten Vverden wollte. Denn
Cajus ßand üets in dem Rufe der Redlichkeit ,
und beweifet fich, durch das geraubte Gut, als
ein fehr wohlthätiger Mann. Für Cajus hat die
Handlung die befien Folgen gehabt ; und doch
wird jeder von uns einfehen , dafs fie böfe fey.
Glauben Sie nicht, m. H. Ihre Meynung
dadurch vertheidigen zu können , dafs Sie fa-
gen: wir nennen nur die Handlung gut, die für
alle Menfchen erfpriefsliche Folgen hat; und
hier leidet wenigftens Cajus. Aber unter' alle
Menfchen gehört auch gewifs der , der eine Hand-
lung begeht ; und wie viele Bejfpiele zeigen nicht,
dafs der Menfch für WohltJjaten Undank ein-
erndten , und gute Handlungen mit dem Leben
C 14 )
bufsen murste. Herzog Leopold von Brauil-
fchweig ficht eine arme ßauernfamilie unter den
Wellen faft begraben. Geübte Schiffer wagen
es jiicht ihr Lebeh der reifsenden Oder anzuver-
trauen ; nur Kr beßeigt den fchwankenden Na-
chen mit den Worten: ich bin ein Menfch wie
fie .' eilt zu ihrer Rettung, will — aber neini
der Kahn Itürzt um, und der Edle wird von den
Fluthen Verfehlungen. Traurige Folge ! Die Tliat
bleibt doch gut.
Ueberdiefs würde eine Handlung , wenn ih-
re Güte Ilets nach den Folgen berechnet werden
müfste , zweideutig, weder gut nocli böfe feyn,
fobald deren Folgen für eben fo viele Menfchen
erfpriefölich , als nachtheilig find : nur das üeber-
gewicht könnte entfcheiden , und für je mehr
Menfchen die Handlung vortheilhaft ift, je bef-
fer würde fie auch feyn.
Aber wie fchwankend , und unbeftimmt^
unzulänglich und ungewils wäre diefs Mittel zur"
Erkenntnifs der guten oder böfen Handlung : wir
müfsten die Stimmen der ganzen Menfcliheit
fammeln, müfsten die ganze ReiJie der zukünf-
tigen Erdbewohner vor Augen haben, und über-
zählen , welche Folgen eine Handlung auf die
Nachkommenlchaft hat , ehe wir entfcheide»
( 15 )
könnten , ob ße gut, gleichgültig , oder böfe Cef,
Denn follen fclion einmahl die Folgen in An-
fchlag gebracht werden , wer berechtigt uns nuc
die Wirkung zu berechnen , die die Handlung
auf die nächflen Menfchen um uns her hat? Der
Ivlenfch müfste fich dann zum Weltbürger erhe-
ben , und nur zitternd feine Schritte thun, da
nur das Auge des Allwi/Tenden den Einflufs fieht,
den lie auf die Zukunft haben. Was Taufende
meiner gleichzeitigen Mitmenfchen beglückt ,
kann die Grundlage zum Unglücke von Millio-
nen der fpätern Generation werden ; und nicht
feiten , fo lehrt die Gefchichte , erwuchs der
Nachkommenfchaft Heil und Seegen aus Thaten,
vor denen die ZeitgenofTea mit Abfcheu zurück«
bebten.
Selbft der gemeine Menfchenverfiand lehrt
uns fchon , dafs wir keine That nach ihren Fol-
gen gut oder böfe nennen. Setzen wir ein Räu-
ber ermorde einen Menfchen , von dem es in dem
Buche des Schickfal*jgefchrieben lieht, dafs feia
Leben für Welt und Nachwelt eine wahre Gel-
fei geworden wäre. Der Mörder hat uns von
einem grofsen Unglücke befreyet. Hat er aber
eine gute That begangen ? Nützlich war iie^
das läugnet kein Menfch; aber war fie gut?
( 16 )
Was hilft "s uns mit Sophiflereyen betauben
zu wollen ! jedermann weifs ,, nicht die Gabe,
nur der Wille macht den Geber ; " und l'o auch
allgemein ; nicht die That und deren Folgen ,
fondern der Wille , nach welchem lie vollbracht
wird, erwirbt ihr den Nahmen einer guten oder
böfen Handlung.
Aber nun werden Sie wohl leicht begreifen,
m. H. , wie wenig uns die Erfahrung zum Pro-
bierllein des guten oder böfen Willens dienen
könne. AuIIer der gänzlichen Unmöglichkeit den
Willen anderer , bey einer g e f c h e h e n e n That,
früher als die That felblt zu erfahren , aufser
der Nothwendigkeit alfo , in die wir dadurch
\'erfetzt werden, den Willen durch die That,
nicht die That durch den Willen zu beurtheilen,
aufser diefem , liegt noch eine andere Schwierig-
keit hierin.
Wenn auch die Handlung gar nicht zu Stan-
de kommt, ift nun, da ihr# Güte oder Bosheit
auf den Willen ankommt nach dem fie unternom-
men ward, ift nun, fag' ich, der Wille felblt der
Beurtheilung unterworfen , wird nun der Wille
gut fejn, der auf gewilfe Handlungen zielt, ein
anderer böfe feyn , der entgegengefetzte Hand-
lungen wirklich zu machen begehrt. Welches
Maals
C 17 )
Maafs aber haben wir die Güte oder Bosiieit des
Willens zu ermefl'en ?
Der Wille geht derThat zuvor: fie foll erft
durch ihn ihr Dafeyn erhalten. Was foll der
Menfchthun ? Welchen Willen darf ich inThiU
tigkeit übergehen lalTen , und welchen mufs ich
unterdrücken?
Von welchem weiten Umfange diefe Frage
f ey , wird Ihnen, ni. H. wohl von felbfl; einleuch-
ten. Denn liefse fie fich nicht beantworten ,
liefse fich keine , von der Erfahrung unabhangi*
ge Regel feßfetzen , nach welcher diefe Handlung
gewollt werden darf, jene nicht gewollt werden
darf; fo liefse fich auch niciit das kleinfie pofi-
tive Gefetz geben, das nicht fürchten müfste,
alle Augenblicke mit Füfsen getreten zu werden.
Nehmen wir das pofilive Gefetz : du follß nicht
ßehien zum Bejfpiel. — Wachte nicht in dem
Geuiüthe des Menfchen ein Ricliter , der den
Willen zur Verletzung des Eigenthums eines an-
dern verdammte ; fo würde man fich nur durch
die Furcht vor Strafe von diefem Verbrechen
abhalten laden ; und jeder, der fchlau und glück-
lich genug wäre , um der Strafe zu entgehen ,
Würde diefs Gefetz übertreten.
( 18 )
Ich weifs was Sie denken , m. H. Sie wer-
oen lagen : der beffere Menfch werde nichts thun,
wodurch der Nebenmenfch gekränkt wird, wer-
de daher auch nie das Eigenthum des andern
angreifen, ielbfr wenn gar keine, weder göttli-
che noch menfchliche Strafe darauf flände.
Das Gefetz fey nur für den gemeinen Mann ,
u. d. gl.
Aber wahrlich m. H. Sie räumen mir durch
diefen Einwurf alles ein , was ich will. Der
befTere Menfch , fagen Sie , wird eine folche
Handlung , auch ohne verbiethendes Gefetz ,
nicht ausüben. Aber warum nicht? Ift fie etwa
der phyfifchen Natur des Menfchen zuwider ,
kann er das Eigenthum des andern eben fo we-
nig mit fich verbinden , als Gift mit feinem Ma-
gen ? wäre etwa die Zerfiörung feiner Mafchine
rotluvendige Folge diefer That ? Onein! Sie fa-
gen felblt , dafs der gemeine , ungebildete Menfch
fie begehen würde , wenn es nicht verboten wä-
re. Der phyfifchen Natur des Menfchen ift fie
alfo nicht zuwider; und doch behaupten Sie,
der belfere Menfch würde fie nicht begehen?'
warum uicht ? weil er weifs , was er thun foTI,
weil er überzeugt iß , dafs das pofitive Gefetz
ihm nur eine Handlung zu unterlaflen befiehlt,
von der ihm feine Vernunft gefagt hat, daTs er
C ^9 )
ße umerlaffen Toll , und deren Befehle er befol-
gen mufs , wenn er auf den Titel Menfch An-
fprüche machen will.-
Dem kleinften pofitiven Gefetze geht daher
Ilets irgend eine Regel vorher, die , an und für
fich , dem vernünftigen Menfchen zur Richt-
fchnur dient , aus der das pofitive Gefetz felbß
erfi: entfpringt, und die ihm zeigt das foll er
thun, das foll er unterlaffen. Welches ift die-
fe Regel? was foll ich thun?
Wir kommen nun zu unferer dritten Fra»
ge : JVas darf ich Jio[fen ?
Hoffnung, wie diefer Ausdruck im gemei-
öen Leben genommen wird, befteht wohl le-
diglich aus Neugierde und Selbftliebe. Wenn
wir angefangen haben, das Schickfal irgend ei-
nes , fey es auch eints erdichteten Menfchen
zum Theil kennen zu lernen , find wir begie-
rig die Kataßrophe , das Ende feines Schick-
fals zu erfahren. Diefer Blick in die Zukunft ,
den wir zu erlangen wünfchen , verwan-
b 2
( ao >
delt ficli , wenn er auf unfer , oder einer uns iil-
terefsireudea Perfons Schickfal Bezug hat, in
Hoffnung : wir wünfchen das Ende unferes Le-
benslaufs zu kennen ; aber da wir aucli zugleich
wollen, dafs diefs Jtnde für uns angenehm fcyu
foU, wiegen wir uns mit dem Trolte ein, dafs
es fo feyn werde , wie wir wollen.
Dafs Neugierde, oder wenn Ihnen das Wort
nicht paffend genug fcheint, dafs Wifsbegierde
«inen Befiandtheil der Hoffnung ausmache, wer-
den Sie wohl zugeben, m. H. wenn Sie in ihr
eignes Herz greifen, und fich felbft zu Rathe zie-
hen wollen. In der That fobald wir uns in ei-
ner mislichen Lage befinden , aus der wir be-
freyet zu werden hoffen , fragen wir uns gleich-
fam felbft : wie wird das ausgehen ? Aber auch
fogleich geben wir uns die Antwort : es wird
noch alles gut gehen. Die Wifsbegierde flöfst
uns die Frage, und die Vorausfetzung , dafsdais
Ende unferes Scliickfals für uns angenehm aus-
fallen müfäe, die Anfrort ein.
Merkwürdig ift es , dafs der Spiachgebrau(5h
(chon zweyerley Hoffnung kennt , und die e i*
feie Hoffnung von der gegründeten, genau
untei;fciieidet. Dafs ein Meufch , der fich als
Rechtsgclehrter rülimlich ausgezeichnet Iiat, fich
(21 )
Hoffnung macht, durch feine Kenntnifse, als Pro-
feflbr der Rechte angeflellt zu werden , wird je-
der als gegründete Hoffnung gelten lafTen ; wenn
er aber glaubte dadurch dereinfi: als erfter Leib-
arzt zu glänzen, würde man feine Hoffnung als
eitel verlachen. Worauf gründet lieh diefer Uii-
terfchied ? wäre zur Hoffnung nichts als Wifs-
begierde über das Ende unferes Schickfals , und
die Luft an dem glücklichen Ende deffelben er-
forderlich , warum könnten wir nicht alles hof-
fen ? Jede Möglichkeit in der Folge glücklich
zu feyn , könnte ein Gegenßand unferer Hoff-
nung werden : keine wäre eitele, jede gegrün»
dete Hoffnung.
Aber nein! Das wodurch? kommt mit
in Anfchlag. Wir find uns bewufst, dafs wir
erft etwas thun muffen, ehe das Glück, das
wir wollen , erfolgen kann: unfere Handlun-
gen muffen den Grund abgeben, damit das
Glück als Wirkung entliehen foU; und ift da-
her die Bedingung erfüllt , haben v/ir gethan ,
was wir follen, fo ift: auch unfere Hoffnung ge-
gründet 5 im entgegengefetzten Falle , ift fie ei-
tel,
b 3
( 22 )
Sie fehen alfo , meine Herren ! dafs gegrün-
dete Hoffnung aus drej Beftandtheilen zulanimen
gefetzt ift: Erßlich, aus der Begierde unTerSchick-
fal zu erkennen; zweytens aus der Lust an
unferer G 1 ü c k f c li g k e it ; und drittens, aus
dem Bewufstfeyn , dafs die Handlung, die wir
thun, den Grund enthalte zu dem glück-
lichen Schickfale, von dem wir gern wiReri
möchten , ob es uns werde zu Tlieil werden ,
oder nicht.
Soll daher eine Hoffnung nicht eitel fejn ,
foll der Menfch nicht jeden auflteigenden Wunfcl^
für eine gegründete Hoffnung halten ; fo mufs er
ßch drey Fragen beantworten :
1° Kann ich etwas von dem wiffen, waa
in der Zukunft gefchehen wird ?
Denn wenn ihm diefs ausdrücklich verfagt
wäre , warum plagt' er fich vergebens fein Schick-
fal zu erforfchen. Sein Blick wird durch die
Gegenwart befchränkt , mit den Augen des Ver-
ßandes kann er nur was hinter ihm liegt , nur
in die Vergangenheit fehen — die Ausficht in
die Zukunft ift in Nacht gehüllt , fein Blick
durchdringt fie nicht.
(23 )
2° Ift es nothweudi g dafs ich glücklich
werde ?
Wäre es nicht nothwendlrr , dafs der Menfch
einft — hienieden , oder jenfeits des Grabes
glücklich werden müfste , was berechtigte ihn je
ein befTeres Schickfal zu hoffen. Er ift unglück-
lich; immerhin! er kann es vielleicht ewig feyn.
Wer fagt ihm, dafs das Ziel feiner Wünfche
einß ftehen bleiben wird , um fich von ihm errei-
chen zu laffen ; vielleicht wird es ihn ßets flie-
hen , und um deflo fchneller, je länger er ihm
pachläuft ?
3° Was foll ich thun, um glücklich zu
weiden?
Das Bewufstfeyn, dafs etwas gefchehen
mufs , ehe man berechtigt ift, nach Glückfelig-
teit zu hoffen , das Bewufstfeyn , dafs nicht al-
len Menfchen jede Art von Wunfeh gewährt
werden könne , diefs Bewufstfeyn , das jedem
Menfchen beywohnt , macht die Beantwortung
diefer Frage zur unumgänglichen Noth wendig-
keit. Brauchte der Menfch gar keine Bedin-
gung zu erfüllen , um glücklich zu feyn , fo
dürfte er alles hoffen ; und wüfste er nicht , wel-
b 4
( 24 )
dies diefe Bedingungen find , die er erfüllea
iiiiifs elie er Glückfeligkeit hoffen darf; fo
würde er auch nicJit berechtigt fejn zu hofien.
Ks wäre entweder alles oder nichts gegründete
Hoffnung.
Wie Sie felien , m. H. kommen in der Fra-
ge : was darf ich iioffen ? zwey Stücke vor,
von denen wir fchon vorhin gefproclien. Kann
ich etwas von der Zukunft wifTen? ift nur ein
befonderer Fall von der allgemeinen Frage :
was kann ich wilTen ? Ift nur diefe erft beant-
wortet, läfst es lieh ausmachen , was wir wif-
fen können ; fo wird es hch wohl von felbß
ergeben , ob wir etwas von der Zukunft willen
können.
Eben fo ifl die Frage: was foll ich thun,
lim glücklich zu werden ? nur ein befonderer
Fall von der allgemeinen : was foll ich thun ?
Denn das , was ich zur Erreichung der Glück-,
feligkeit tliun niufs , kann nicht von dem ver-
fchieden feyn , was ich überhaupt thun foll,
Die einzige Frage: mufs ich einft glücklich
werden? ifl neu, und kommt der Frage: was
darf ich hoffen? als eigenthümlicher Beftand-
theil zu. Sie verbindet gleichfam die beydea
( 25 )
erften : wenn icli thu , was ich foU um des Glü-
ckes würdig zu feyn , werde ich auch dann wif-
fen , dafs ich glücklich feyn werde.
Erfahrung kann uns hierüber keinen Auf-
fchlufs geben. Sie kann uns nicht lehren, was
wir willen können , nicht lehren , was wir thun
follen , und daher auch nicht die Antwort der
^us der Verbindung bejder entitandenen dritten
Frage : was darf ich hoffen ?
Viele Weltweife , die man Empiriker
nennt , glaubten die Antwort auf unfere drey
Fragen in der Erfahrung fuchen zu muffen , und
finden zu können. Sie haben lieh geirrt , wie
wir gefehen.
Viele Weltweife , die man Dogmatiker
nennt, glaubten der Erfahrung gar nicht zu be-
dürfen , und die Fragen doch beantworten zu
können. Sie glaubten , vorzüglich in Betreff
der eilten Frage: was kann ich wilTen? aus deü
b5
( 2^ )
Geietzen der Vernunft darthun zu können » dafa
das Willen des Menfchen ohne Schranken fey,
dafs man nur richtig fchliefsen , nur den Vor-
jchriften der Logik treu nachleben müfste , um
von allem , was die menfchliciie Wifsbcgierde
(ich je als Frage aufwirft , eine überzeugende
Antwort zu erhalten , und dafs man daher fchon
durch Schlüfse einem ^Vefen Dafejn gebe , felbft
dann, wenn uns weder Gefchichte noch Tradi-
tion das Dafejn delFelben gelehrt hätte.
Man fchlofs richtig, man beobachtete rich-
tig , man zog hier die Logik , dort die Erfah-
rung zu Rathe , in der äufTerlichen Behandlung
ging nicht der kleinite Fehler vor; und doch —
fonderbar genug ! — blieben dem Denker feine
Fragen unbeantwortet.
Er freuete fich über den Scharffinn , den
Beobachtungsgeift der Männer, die fie zu beant-
worten ßrebten , freuete ficii über die Kraft des
Menfchen, die ein Gebäude von Schlüfsen auf-
führte, delTen Spitzein das Heiliglhum des Him-
mels drang — freuete fich von der einen Seite;
aber beklagte von der andern die Leere, die er
empfand: — denn feine Fragen vvaren nicht be-
antwortet.
( 27 )
Schon verzweifelte er je feine Fragen be-
antwortet zu fehen : vollkommener Slcepti-
cismiis bemeifterte fi.h feiner Seele j und
um des traurigen Gemüthszufiandes der Zwei-
felsfucht fich zu eutfclilagen , ergriff er je-
des, noch fo fonderbare Mittel, das man ihm
anbot.
Auf welche Abwege liefs er fich führen,
welchen Kampf mit fich felbft befiand er gern ,
um fich nur dem Heiligthume zu nähern , worin
er das Wichtigfte zu finden glaubte , das den
Menfchen angeht. Bald begleitete er den Idea-
listen in Regionen, wo nur Geifier ohne Kör-
per wandeln ; bald den Materialisten in
eine Werkfiatt, wo leelealofe Körper mafchinen-
artig wirken, und bald horte er dem Egoisten,
der ihm lein eigenes Dafejn ablaugnete , mit
Wohlgefallen zu , weil er ihm , durch den Ver-
zicht auf fein eignes Dafeyn , zu beweifen ver-
fprach , dafs er unfierblich fey, dafs er tugend-
haft fejn müfse , dafs ein Gott exifi;ire.
Woher karn diefs? — Der Grund diefes
glänzenden Gebäudes war nicht unterfucht ; man
wähnte, dafs, ohne Erfahrung und Glaube,
fchon durch Schlüfse jedem Dinge Dafcjn ver-
fchafft werden könne, ui^d nun kam es freylici^
( 28 )
»ur darauf an, wie man diefe Schlüfse machen
follte.
I m a n u e 1 Kant, unterfuchte durch fünf-
zehn Jahre den Grund aller bisheiigen Syßeme,
und fand, dafs es dem Menfchen nicht vergönnt
fey, das Dafeyn des kleinften Wurmes durch
biofse Schlüfse zu bevvirlien : nur dann erfi; ,
wenn eigne Erfahrung, oder die Gefchichte ihn
über das Dafejn einer Sache belehrt , kann er
<3 eilen Eigenfchaften durch Schlüfse entdecken j
pur dann wiflen , dafs es da fey.
i\ber diefe Unterfuchung bedurfte einer Pru»
fung der Vernunft felbß; es mufsten den Anmaf«
fangen der Vernunft felbft, ihre Grenze gezogen
werden , wenn fie den Menfchen nicht abermahls
in jene Irrgänge unwillkiihrlich mit fich fortreif-
fen , Wenn der grillenhafte Idealift , der ge-
fährliche Skepticift , und der kühne Dogmatift
gutwillig einräumen foUen , dafs fie gefehlt ha^
ben.
Darauf lehrt nun diefer Weltweife , dafs
wenn Gott uns nicht die Gnade erzeigt hätte ,
fein Dafeyn uns zu offenbaren, wir es nie durch
Schlüfse unferer fchwachen Vernunft bis zur völ-
ligen Gewifsheit herausbringen könnten; lelirt,
( 29 )
dafs "vVit , durch die von dem ewigen Wefen uns
Verliehenen Vernunft, den Allfchöpfer als dea
heiligen Gefetzgeber der Moralität betrachtea
müfsen ; lehrt, dafs die Tugend des Menfchea
Reh nicht auf Furcht vor Strafe oder Hoftnun»
zur Belohnung , fondern auf den Gedanken grün-
den inüfse , dals er dadurch in den Augen des
AllWilTenden der Glückfeligkeit würdig werde ;
lehrt, dafs diefe Glückfeligkeit nur durch eiue
ewige B'ortdauer des Menfchen erreicht werden
könne; und endlich, dafs felbfi: das Gefühl des
Erhabenen nur dann uns mit Wohlgefallen er-
füllen könne, wenn der Gedanke an Gott und
Ünfierblichkeit diefs Gefühl belebt. Wie heil-
fam für Religion und Staat lind diefe Lehren ,
wie wohlthätig für den Denker !
Dunkel wird Ihnen, m. H. der Weg frei-
lich fcheinen , den ich Sie zur ünterfuchung des
Grundes der philofophifchen Gebäude führen
mufs ; denn Sie treten aus einem grenzenlofea
Räume , in welchem viele Windlichter ihre Au-.
gen blendeten , in ein begrenztes unterirrdi-
fches Gewölbe , das nur von der einzigen Fa-
ckel der Wahrheit beleuchtet wird. Aber bald
wird fich ihr Auge an diefe fchwache Beleuch-
tung fo gewöhnen , dafs Ihnen jener Schim-
mer unerträglich fallen mufs. Wie glücklich
( 30 )
Ware ich , wenn die Vorlelungen , die ich die
Ehre liaben werde , Ihnen zu halten , Ihnen da»
Geftändnifs ablocken foUten , dafs man bey ei-
nem Funken Wahrheit belTer fche, als bey den
laufend Irrlichtern des Irrthums.
VORLESUNGEN
Über die
CRITIK DER PRACTISCHEN VERNUNFT.
|:RSTE VORLESUNG.
I.
(Zweck des Werkes.)
.. Wn>
e n heifst das Vermögen des
Menfchen fich felbft zum Handeln zu Leftim-
men ; und Wollen, die wirklich gewordene
Willensbeftimmung, So will jemand wohl-
thätig feyn, wenn er fich zu Handlungen der
Wohlthätigkeit beftimmt.
2. Wenn jemand irgend einen Gegen-
wand durch die Willensbeftimmung wirklich
zu machen begehrt , wie wenn , in unferm
Falle, jemand defshalb wohUhätig fejn woll.
■te, um das Wohl feiner Mitmenfchen zu be-
fördern, und ihrer Noth abzuhelfen ; fo heifst
der begehrte Gegenftand der Zweck der
WillensbeJtimmuna,
2
3. Dns aber , wodmch die Handlung
wirklich werden kann , die den begehrten
Zweck (2) hervorbringen foll , heifst das
Mittel dazu. Durch Willen, Reichthum ,
Anfehen u. f. \\\ wird die Wohlthätigkeit
möglich,
o
4. In (b fern der Grund zur Willensbe-
fiimmuno- fnbjectiv , von einem Gefühl herge-
nommen ilt, heifst er Trie bfed er; er heifst
aber Beweggrund, in fo fern er objectiv,
und von einem , fich nicht auf ims beziehen-
den Gegenltand hergenonnnen ilt. Wenn man
fich der Noth anderer abzuhelfen aus Mitlei-
den befiimmt, fo ilt das Mitleiden die Trieb-
feder , und der Gedanke , dafs durch die
Wohlthätigkeit der Noth des Mitmenfchen ab-
p-eholfen wird , der Beweesiund zur Willens-
beltimmung.
^. Da der Wille ßets das Mittel zu einem
Zwecke ift; (3) fo beruht die Willensbeftim-
mung auf der Einficht in den Zufammenhang,
der fich zwifchen dem Mittel und dem Zwe-
cke vorfindet. Folglich ilt fie ein Werk der
A'ernunft.
6, Dafs der be!?ehrte Zweck erreicht wer-
de , ilt nicht nothwendig zur Willensbeftim-
mung : die Erreichung hängt gröfstentheils
von äulTern Umitänden ah» die nicht fiets in
unferer Macht ßehen. Aber, wenn nur ber
der Willensbeliimmun^ auf diefen Zweck hin^
3
g^efehen ward , war er fchon ein Grund zu
derlelben , war alfo ein Beweggrund (4)
7. Der Zweck, als Beweggrund gedacht,
(ö>murs, auf irgend eine Art, auf mich be-
zogen werden können. Denn wenn er in gar
keiner Verbindung mit mir ßände, könnte er
auch die Willensbeftimmung, als eine Verän-
derung in mir , nicht hervorbringen. Nun
heifst aber der Bezug, in dem ich zu einem
äuflern Gegenftand ftehe , ein B e d ii r f n i f s ;
und jedes Bediirfnifs gründet fich auf mein
Gefühl. Daher fetzt ein Zweck, In fo fern
er als Beweggrund dienen fbll , noch überdiefs
etwas Subjcctiyes , eine Triebfeder (4) voraus.
[\. Ohne noch zu wilTen , was eine niora-
lifche Handlung fej, lehrt doch jedermann fein
eignes Bewufstfejn , dafs eine Handlung, die
aus Triebfedern begangen wird , keinen mo-
ralifchen Werth habe. Der Kaufmann, der die
Leute ehrhch bedient, weil er dadurch feine
Kiuidfchaft zu vergröfsern begehrt ; der iMenfch,
der nicht lügt, weil er feinen Leumund zu be-
fchmutzen fürchtet, begehen zwar pflichtmäf-
%e Handlungen, denen aber doch das Be-
wufstfejn eines jeden keinen moralifchen Werth
bejiegt. Bejde würden, fo denken wir, auf
entgegengefetzte Weife handehi, wenn fie kei-
ne fchädliche Folgen fürchteten.
9. In diefen Fällen fprechen wir demnach
den Handlungen defshalb moralifchen Werth
A 9
4
ab, weil <5ie W illensbeftlmmung eine Trieb-
feder vorausfetzt , die nicht nothwendig iit.
Folglich werden wir nur folchen Handlungen
moralifchen Werth beilegen , deren Beweg-
grund nothwendig ift.
10. Aber Beweggründe, die aus der Er-
fahrung gefchöpft werden, Und, wie alles,
was Erfahrung liefert , nicht nothwendig.
(§. 13) *) Folglich müfsen die Beweggründe,
die nothwendig feyn follen wenn eine Hand-
Jung moralifchen Werth hat , d prioj-i gege-
ben fejn.
11. Die Auffuchung der Be\<'eggründe d
priori, und die Darltellung der Möglichkeit
ihrer Wirkung auf uns, um unfern Willen zu
beftimmen , ilt das Gefchäftder Critik
der p r a c t i f c h e n Vernunft,
II,
(Analytik der Grundfätze.}
12. Vorausgefetzt , dafs die reine Ver-
nunft, ohne Hinficht auf einen in der Erfah-
rung gegebnen Zweck, an und für fich das
Vermögen befitze , einen Bertimmungs2;rund
des Willens abzugeben, dafs der Menfch da-
her v/ollen könne , blofs weil die Vernunft
ihm befiehlt zu wollen; fo wird der dadurch
*) Die mit S bezeichneten Numern bezielien fich aufmei-
ae Vorlefunjen über die Critik der reinen Vernunft.
s
wirklich gewordene Wille, erfUich unter irgend
einem Gefetze fiehen , und zweytens für alle
vernünftige Wefen gültig, daher nothwendig
(§. II.) i'eyn. Die Vernunft, als Urfache,
bringt in allen die Wirkung, den durch fiebe-
itimmten Willen nähmlich , fo unausbleiblich
hervor , wie jede Urfache ihre Wirkung.
13. Die Willensbeßimmung, die, unter
diefer Vorausfetzung, blofs als Wirkung der
Vernunft betrachtet werden niüfste, entfpringt
nach einem practifchen G c f e t z e : (^. 689) fo '
dafs daflelbe den Grund einer für alle
vernünftige Wefen g ü 1 1 i g- e n W i 1-
1 en s b e fi i mmu ng enthalt.
14. BefälTe aber die reine Vernunft diefs
Vermögen nicht, thäte fic nichts als den Zu-
fammenhang zwifchen Mittel und Zweck ein-
fehen , (5) wäre fie alfo nicht der eigentliche
Beweggrund zur Willensbeltimnuing, fondern
müfste Itcts erft ein Zweck gegeben werden,
vermöge delfen die Vernunft den Wollen be-
Itimmt; fo wäre die, folcher Geltalt durch die
Vernunft nur zum Theil bewirkte Wiilensbe-
liimmung, nicht allgemein gültig, nicht noth»
wendig : bey andern' Zwecken würde auch
die Vernunft den Willen anders beftimmen ,
und die W^illensbeftimmung wäre nur für das
Subject gültig , das diefen Zweck erreichen
will. Folglich hätte , unter diefer Vorausfet-
zung, keine Handlung moralifchen Werth. (9)
A 3
6
ij. Die Willensbeliimmung , dliMinr für
ein Snbject gültig ili, in fo fern es dadurch ei-
nen Zweck zu erreichen glaubt , entfpringt
nach einer Maxime: fo dafs diefclbe den
Grund zu einer f u b j e c t i v e n W i 1-
1 ensb e f t i mm u n g enthält.
1 6. Die Mnximen fowohl , (i^) ^^^ <^'G
practiCohen Gefetze , (13) heifsen practi-
fche Grundlätze.
i;?. Die Maxime enthält demnach den
Grund zu einer bedingten Willensbeflim'
mung: unter der Bedingung nähmlich, dafa
ich die Wirklichwerdung des Gegenftandcs A,
als Zweckes begehre , will ich auch die Hand-
lung B, als Mittel, begehen. Ich will wohl--
thätig handeln , weil ich die Gliickfeligkeit
des Mitmenfchen befördern will.
18. Jeder bedingte Sat^ kann allgemein
gemacht werden, wenn man die Bedingung
dem Satze hinzufügt. Nimmt man daher in
der Maxime die Bedingung zugleich mit auf;
fo wird fie aligemein unter gewilfer Bedin-
gung , und heifst dann V o r f c li r i f t ; wer die
Wirklichwerdung des Gegenßandes A will,
inufs die Handlung B begehen.
/p. In der blofsen Maxime C*5) '^ 0'*^'
nichts Befehlendes enthalten : ich will B,
weil ich A will. Hingegen befiehlt die
Vorfchrift (i?) fowohl, als das Gefetz (13)
die Handlung B. „ Wer A will , fagt die Vor-
7
fchrift, m u Cs B begehe» : „ Du f o 11 s t B be-
gehen , fagt das Gefctz. Diefer Befehl, der
in bejden liegt, heifse der Imperativ.
20. Voransgefetzt , dafs es practifche
Grundlatze (16) gäbe, bej denen die einzige
Antwort auf die Frage : warum foll ich B be-
gehen ? die ift : weil du ein vernünftiges Wc-
fen bift ; fo brauchte man als Beweggrund
nichts anders als die Vernunft felbit anzuneh-
men : die Willensbeßimmung wäre für alle
vernünftige Wefen gültig, entfpränge nach ei-
nem practifchen Gefetze. (13) Da nun der
Imperativ (19), der das Gefetz ausdrückt,
gar keine andere Bedingung enthält, als weil
es die Vernunft fo befiehlt ; fo heilTe er ein
categorifcher Imperativ.
2i. Mufs man aber, wie diefs bey der
Vorfchrift (ig) gefchieht, die Antwort auf die
(:o) erwähnte Frage aulTerhalb der Vernunft
fuchen ; fo wird die Willensbeßimmung, in fo
fern fie eine Einficht in den Zufammenhang
zwifchen Mittel und Zweck fordert, zwar Werk
der Vernunft , (-,) aber ihr Imperativ nur be-
dingter Weife gültig feyn. ,, Wer A will,
mufs B begehen , " alfo nur der mufs ß be-
gehen , der fich A als Zweck vorgefetzt hat.
Der Imperativ der Vorfchrift ift demnach nur
ein h V p o t li e t i f c h e r Imperativ.
22. Der Unterfchied zwifchen dem hy-
pothetifchen Imperativ, C21) und o.eva catego-
A 4
9
rifchcn ( >») \il eitileticlitend. Durch den zwei-
ten foll ich eine Handumg zur Wirklichkeit
bringen , weil ich etwas von ihr verfchiede-
nes, das auch noch nicht da ist, den Zweck
nähmlich, will. Durch den erßen hingegeiv
foll ich eine Handlung zur Wirklichkeit brin-
gen, weil etwas da ist, das ich nicht ändern
kann ; ich foll B begehen , weil ich ein vei«»
nünftiges Wefen bin , und als folches , unab-
hängig von meinem Willen , exifiire.
IIL
23. Der Zweck, (2) wefshalb mein Wil-
le mir etwas zu thun befiehlt, heilst das O b-
ject, oder die Materie des Begehrungs-
vermögens.
24. Daraus folgt, dafs die categorifchen
Imperative (20) keine Materie (J3) haben.
Denn fie befehlen nicht, damit etwas er-
reicht werden foll: die Handlung foll gefche-
hen , weil fie von einem vernünftigen Wefen
gefchieht, nicht damit ein vernünftiges We-
fen entßehe.
<2j. Hingegen hat jeder hypothetifcher
In^perativ (21) eine Materie; (2^) denn er
befiehlt die Handlung B nur, damit A, als
Zweck , wirklich werde.
26. Ift der Zweck A fo befchaffen,
dafs ich ihn wollen mufs , weil ich ein ver-
9
niinftiges Wefen bin ; Ib ift auch der Impera.
tiv, der B befiehlt, nur zum Scheine h/po-
thetifch: als Folge eines categorifchen Impe-
rativs, iß er felbft categorifch.
27* Soll aber ein Imperativ wirklich hy-
pothetifch fejn ; fo ift diefs nur dann mög-
lich , wenn A ielbfl nicht nothwendig, und
felbft hjpothetifch- ift: wenn nähmlich A be-
gehrt wird 5 weil a begehrt wird , der Zweck
a aber b , b den Zweck c , u. f. w. voraus-
fetzt.
28. Nun fcheint es zwar anfänglich , als
wenn das , was ein wiiklich hypothelifcher
Imperativ (27) fejn foli , den Zweck in"
Unendliche verfchieben müfste, indem jeder
Zweck eines andern wegen gewollt wer-
den müfste. Diefs hiefse aber fo viel, alsgä^
•be es keinen wirklich hjpothetifchen Impera-
tiv : welches der Erfahrung widerfpräche. Al-
lein in der That verhält es fich nicht fo; und
das zu zeigen, foU uns in der nächlien Vorle-
fung befchäftigen»
A ^
i.o
2WEYTE VORLESUNG.
IV.
(Von den materialea Principien.)
29. Glückfcligkeit wird uns zu Thell,
^enn alle unferp gewollteu Zwecke erreicht
werden.
30> Sobald einer un lerer Zwecke erreicht,
ein Theil unferer Glückfeligkeit (29) alfo be-
fördert wird, iß uns wohl,
31. Bej jeder Verfehlung eines Zweckes,
hey der Beraubung eines Theiles unferer Glück-
feligkeit, ift uns weil.
32. Das Bewufstfeyn, dafs uns wohl ift,
(30) erregt Luft, oder angenehme Em-
pfindung; das Bewufstfeyn , dafs uns weh
iß , (31) erregt U n 1 u ß , oder unangeneh-
me Empfindung.
ßr^. Vorausgefetzt, dafs jede Erreichung
eines Zweckes nur gewollt werde, weil der
Zweck unfere Glückfeligkeit befördert ; fo
kann die Beförderung der Glückfeligkeit als
letzter Endzweck angenommen werden,
34. Diefer letzte Endzweck (^^) iß den-
noch nicht nnbedingt nothwendig. Denn die
Art, wie er erreicht weiden kann, läfst fich
nur empirifch geben , und ift daher nicht all-
gemein gültig: was dern einen Menfchen Luft
11
erregt , kann gerade das Gegentheil bej dem
andern hervorbringen.
^ß. Zielt daher ein hypothetifcher Impe-
rativ auf die Beförderimg der Gliickfeligkeit;
fo hat er zwar einen letzten Endzweck, bleibt
aber demuncrachtet blofs hypothetifcL. (21)
36. Der oberlte Griindfatz , woraus alle
practifchen Grundfätze (16) abgeleitet werdqn
können, heifst ein practifches Princip,
37. Da wir jetzt noch nicht entfcheideii
können , (33) ob j e d e Erreichung eines Zwe-
ckes nur gewollt werde um unfere Glückfelig-
keit zu befördern ; fo ift der Grund zu dem Im-
perative eines practifchen Princips, (^6^ das
eine Materie hat , (23) auf zwejerlej Art
denkbar. Entweder die Materie hat aber-
mahls die ihrige, der Zweck ift nur unterge-
ordneter Zweck, ins Unendliche, (27) ohne
je auf einen letzten Endzweck zu führen ; oder
er führt endlich auf die Beförderung der Glück-
feligkeit , als letzten Endzweckes. Im zwei-
ten Falle iß der Imperativ hypothetifch, (^5)
im erlten, ins Unendliche bedingt, in beyden
Fällen alfo nicht unbedingt nothwendig, kein
categorifcher Imperativ, (20) kein practifches
Gefetz. (13)
3,S. Es läfst fich aber beweifen , dafs alle
materiale Principien, (23. ^6.) fo verfchicden,
man fie auch ausdrücken mag, endlich auf das
Princip der Glückfeligkeit hinauslaufen. Denn
12
die Materie (23) des Princips mufs in Bezug
mit uns liehen , weil es fonfi: keine Verände-
rung in uns hervorbringen könnte. Nun heifst
der Bezug in dem wir mit einem Dinge Rehen,
wenn wir uns dabey, wie bey jeder Verände-
rung die in uns von auITenher bewirkt wird ,
leidend verhalten, Abhängigkeit von die-
fem Dinge. Diefe fetzt ein B e d ü r f n i f s vor-
aus, delTen Abhelfung Luft erregt. Folglich
wird bey jeder Erreichung eines Zweckes
Luft entftehen, wird unfere Gliickfeligkeit be-
fördert werden , und daher wird kein materia-
les Princip ein practifches Gefetz feyn. (35.
36.)
V.
(Von dem formalen Princip.)
39. Der Zweck, der erreicht werden foll,
hiefs die Materie des Begehrungsvermögens;
(23) die Handlung die begangen werden mufs,
foll die Form delTelben heilTen.
40. Nun aber kann eine Maxime, In fo
fern fie eine Materie hat , fich nicht zum prae-
tifchen Gefetzc erheben. (38) Folglich wird
jedes practifche Gefetz (13) nur formal feyn
können. Mit andern Worten : in einem prac-
tifchen Gefetze, mufs, wenn es eins gibt, die
Form (39) an und für fich fchon hinreichen,
um von allen vernünftigen Wefen , ohne
Rücklicht auf die Materie , gewollt zu wer-
den.
41. Kur noch zwej Schritte! Jeder Im-
perativ, der eine b eil i mm te Handking wirk-
lich zu machen befiehlt, ift, fei bli ohne Hin-
licht auf die dadurch erreichbare Materie, an
und für fich nur hypothetifch. Denn die be-
ftimmle Handlung fetzt die Mittel zur Errei-
chung derfelben voraus , die ihre Bedingung
fmd. Der Willen mufs fich daher erft zur
WIrklichwerdung der Mittel beftimmen, da-
mit die Handlung, als Materie, erreicht werde.
Folglich hat der Imperativ , in Ib fern er auf
Mittel und Zweck zugleich gehen mufs , eine
Materie , und ift daher nur hvpothetifch. (23)
Wir wollen den Salz: fuche Vollkommenheit
zum Beyfpiel wählen. Derjenige nun , der
diefem Princip nachleben , und Vollkommen-
heit fuchen will, mufs feinen Willen zur Ergrei-
fung der Mittel beftimmen, welche Vollkom-
menheit als Zweck bewirken. Folglich heifst
der Satz: fuche Vollkommenheit fo viel, als:
fuche deinen Willen zu gewilTen Handlungen
zu beftimmen , damit Vollkommenheit er-
reicht werde. Dieis aber ift ja gerade das,
was man ein materiales Princip nennt, wel-
ches nie Gefetz werden kann. (3^^)
42. Von der andern Seite ift der Impera-
tiv, der etwas wirklich zu machen befiehlt,
auch nur h/ppthetifch. Dejindas, was wirk-
S4
lieh \rerden foll , ^vas es auch hnnier icy ^
fetzt Mittel voraus, von denen erß erwiefen
we-deii mufs , dafs fie in unferer Macht fielien
zu erreichen, und deren Habwerdung der Im-
perativ nicht categorii'ch gebieten kann.
43. Zufammengenommen ! Ein practi-
fches Gefetz mufs, wenn es eins gibt, blofi
formal fejn. (40) Ein Princip , das eine be-
/timmte Handlung wirklich zu machen befiehlt^
ilt nicht formal. (41) Folglich mufs in dem
practifchen Princip nur von einem Gc fetze
zu Handlungen die Rede fejn, ohne Rück-
ficht auf eine Handlung felbft. Nun foll es auch
nicht befehlen einen Gegenftand , fey es auch
ein Gefetz zu Handlungen, als Gegenftand be-
trachtet, wirklich zu maclien. (42) Folglich
kann es nur die Möglichkeit eines Ge-
f e t z e s befehlen.
44. Wie lautet demnach das^ was wii'
fchon gefunden haben , imperativ als Geboth
der gefetzfuchenden Vernunft ausgedriicket ?
Mache ein G e f e t z zu Handlungen
möglich.
45. Nun ift ganz natürlich, dafs man hier
das (41) angeführte Argument gegen diefen
Satz anwenden und fragen wird : mufs ich
nicht auch hier meinen Willen zuerft zur Er-
greifung der Mittel bellimmen, wodurch der
Endzweck , das Gefetz nähmlich möglich zu
machen, erreichbar wird. Allerdings! Aber
15
welches find denn diefe Mittel , wodurch die-
fer Endzweck erreicht wird? Die Antwort iß:
wenn alle einzelnen Maximen dem
Ge fetze geniäfs sind. Denn diefs iß das
einzige Mittel ein Gefetz , das allgemein feyn
foll, möglich zu machen,
46. Drücken wir nun die Mittelaus, wo-
durch ein Gefetz für Handlungen möglich wird;
fo lauten fie. mache, dafs alle Maxi-
men deiner Handlungen, einGefetz
für Handlungen werden können,
47. Da nun diefer Imperativ keinen an-
dern Zweck erreichen will, als den die Mittel
felbß enthalten ; fo ißerblofs formal, und da-
her categorifch,
43. Aber diefe Formel iß nicht aus der
Erfahrung gefchöpft , fondern gänzlich aus
Vernunftbegriff'en , d priori gefunden worden.
Folglich iß fie einpractifches Ge fetz. (13)
VI.
49. Soll aber das practifche Gefetz (46)
das Mittel zur wirklichen Willensbeßimmung
abgeben ; fo iß es die Urfache , und die Wil-
lensbefiimmung deffen Wirkung, Nun gehört
diefe Urfache nicht zu den Erfcheinungen , da
alles d priori gefundene , nicht zu den Erfchei-
nungen gezählt werden kann. Daher wird
dfts practifche Cefetz, wenn es die Urfache
i6
zur WiHensbcliimnuiiig abe^ibt , von allen Ur-
fachen der feiifibilen Welt in fofern verfchie-
den feyn , als dicfc alle zu den Erfcheinungen
gehören^ Folglich lernen wir hier eine Cau-
falität kennen, die kein Glied aus der Reihe
der Caufalität der feniibilen Natur ausnnachtj
und deren Wirkungen von diefer unabhängig
find.
j5ü. Unabhängigkeit von der Caufalität der
fenfibilen Natur, lieifst Willk ühr im Itreng-
fien tranfcendentalen Verliande. Folglich mufs
das vernünftige Wefen , das feinen Willen
blofs nach dem practifchen Gefetze beliimmen
foll, Willkühr befitzen , und fie wird derWil-
lensbeftimmung nach dem practifchen Gefetze,
vorausgefetzt.
51. Aber auch umgekehrt ift der Satz
wahr. Wenn ein vernünftiges Wefen auf Will-
kühr Anfpruch macht , fo mufs fein Willen
nach einem formalen Princip , oder , da es
kein anders, als das (46) angegebne gibt, nach
dem practifchen Gefelze beftimmt werden.
Denn in dem Begriffe der Willkühr liegt Un-
abhängigkeit von der Caufalität iler feniibilen
Katur, (50) alfo von allem, was empirifch
iß. Mufs aber aus einem Beftimmungsgrund
des Willens alles Empirifche, und daher alle
Materie (23) ausgcfchloITen werden; fo bleibt
in ihm nichts als die Form (30) übrig: fie al-
lein mufs fchon feinen Willen beliimmen kön-
nen.
»7
neu. Mit andern Worten : ein Vernünftiges
Wefen, das auf .Willkiihr Anfpruch macht,
mufs feinen Willen, nach dem practifchen Ge-
fetze allein befiimmen können,
52. Willkiihr (50) und practifches Gefctz
(48) hängen daher wechfelfeitig von einander
ab : der Willkiihr befitzt , mufs , in fo fern die
Willkiihr enie Willensbeftimmung hervorbrin
gen foll , feinen Willen nach dem practifchen
Gefetze beltimmen; und der das letzte kann^
mufs Willkühr be fitzen.
VIL
(Folgen.)
53. Das practifche Gefetz, als ein ajör/o/'i
gefundener Grundfatz , gilt für alle vernünfti-
ge Wefen. (12) Doch gibt es Inder Art, wie
das Gefetz den Willen beltimmt , unter deii
Vernünftigen Wefen einen ünterfchied;
54. Bey dem Menfchen , und jedem ver-
nünftigen Wefen 5 das von der Caufalität def
fenfibilen Natur abhängt , deifen Wille daher
auch von empirifchen Gründen beftimmt wer-
den kann , weifet die Willensbefiimmung durch
das Gefetz auf eine Art Abhängigkeit,
Wenigßens vom Gefetze, hin: nur weil das
Gefetz fo befiehlt, mufs ich fo handeln, und
ich würde nicht fo handeln, wenn es nicht fö
B
18
befähle, Diefe Abhängigkeit vom GefetzÄ
nennt man eine vernünftige N ö th igu n g,
da der Zwang uns nur von der Vernunft auf-
erlegt wird.
. 55. Die Willensbefiimmung , zu deren
Wirklichwerdung die Vernunft uns nöthigt (54)
heifst Pflicht; die Handlung, die dadurch
wirklich wird, iß eine Handlung aus Pflicht;
die Handlung aber, die, der Wirkung nach, der
Handlung; aus Pflicht gleich kommt, der aber
ein empirifdier Beliimmungsgrund des Willen»
vorherging , heifst p f 1 i c h t m li f s i g.
36. Sollte es ein W^efen geben , def-
fenNatur es fo mit fich brächte, dafs fein Wil-
le nur durch Vernunft, und gar nicht durch
empirifche , zur fenfibilen Welt gehörige Cau-
falität beliimmt werden kann; fo brauchte das
Gefetz nichts zu befehlen. Diefem Wefen , das
ohne Zwang feinen Willen nach dem pra^ti-
fchen Gefetze befiimmte , würde das practifche
Gefetz keine Willensbeftimmung zur Pflicht
(53) niachen : es nöthlgte ihm diefe nicht ab ,
da fie, ganz feiner Natur gemäfs, von felbft
wirklich wird.
57. Ein folches W^efen hätte einen heili-
gen Willen; und Heiligkeit des Wil-
lens, als die völlig zwangslofe Willensbeftim-
mung nach dem practifchen Gefetze, iß daher
bey einem endlichen, von empirfchen Grün-
den beßimmbaren Wefen nicht denkbar, WoW
aber iß fie eine Idee, die, wie jede Idee,
(§. 329 Teq*) uns ein Ziel vorfteckt, dem wir
uns je mehr und mehr nähern follen, '
VliL
58. Unter A V t o n o m i e des W illens ver-
lieht man delTen Unabhängigkeit von der Caii-
falität der fenfibÜen Natur, und dc?[en Fähig-
keit fich , nach einer ihm eignen Caufalität ,
zu Handhuigen zu beftimmen.
59» Hingegen heifst Heteronomie des
Willens die Abhängigkeit delTeiben von der
Caufalität der fenfibilen Natur, und daher def-
fen Unfähigkeit fich , nach einer ihm eignen
Caufalität, zu Handlungen zu beftimmen.
60. Eine Willeiisbeftimmung älfo , die
blofs durch Neigungen und finnliche Antriebe
bewirkt würde, hinge völlig, wie die Nei-
gungen und Leidenfchaften felbft j von der
Caufalität der fenfibilen Natur ab, wäre voll-
kommene Heteronomie. (59)
61. Wenn der Menfch, und jedes vernünf*
tigeWefen, im Stande ift, feinen Willen durch
das practifche Gefetz zu befiimmen , ifi Avto*
nomie des Willens (38} denkbar. Denn in
diefem Falle befitzt das Wefen Willki^ihr, (50)
bängtes nicht von der Caufalität der fenfibilen
Natur ab, und geht nicht aus fich felbit hin*
B «
so
aus, um lieh zu beriimirien: leine Caufalität
ift eine Vorn un ftcaufali tat. (49)
6'2. Hingegen würde jedes andere practi-
fche Princip , zu deffcn Möglichkeit eine Ma-
terie erfordert wird, eben wegen diefer Ma«
terie, zu den Erfcheinungen und ihrer Caufali-
tät feine Zuflucht nehmen miiiren. Denn jeder
Zweck zielt am Ende auf Beförderung der
Glückfeligkeit , (3 s) diefe kann aber nur em-
pirifch gegeben , und mufs daher zu den Er-
fcheinungen gezählt werden. (34) Folglich
würde jedes materiale Princip auf Heterono-
ynie des Willens führen : die Befiimmung zu
Handlungen gefchähe nach der Csufalität der
ienfibilcn Natur, der Wille müfste ausfichfelblt
hinaus gehen , ohne das Vermögen zu befi^
tzen, lieh felbft befiimmen zu können^
63. Am wenigften könnte in einem prac-
tifchen Syftem, delTen Princip material ifi, voll
Pflichten die Rede feyn. Pflichten führenden
Begriff der Nöthigung mit fich ; (54) aber al-
les, was unfere Glückfeligkeit befördert, braucht
uns nicht abgenöthigt zu werden»
64. Die entgegengefetzte Betrachtung wird
diefs noch deutlicher ins Licht fetzen. Jede
pflichlwidrige Handlung ift Rrafwürdig. Die
Strafe wird daher als Folge betrachtet, die fich
der Menfch , der die pflichtwidrige Handlung
begeht, durch diefe zuzieht. Soll nun ein prac-
liiciies Princip material feyn; fo wird eine Hand-
21
iung nicht eher pflichtwidrig feyn können , als
bis fie die Gliickfeligkeit , die zu befördern
nach diefem Syfteme Pflicht iß, nicht beför-
dert. Der gröfste Verbrecher , der Strafe ent-
lafTen , hat nichts Pflichtwidriges gethan , d*
nur die Strafe, als Zerftörerin feiner Glück«
feligkeit, das Pflichtwidrige enthielt. Welches
leichte Mittel den gröfsten Verbrecher fo zum
tugendhaften Manne zu unnfchaffeii !
DRITTE VORLESUNG,
I.
(Von dem Regriffe eines Gegenftandes der rei-
nen practifchen Vernunft.)
6fi, Jede Wirkung, zu deren Hervorbrin-
gung der Wille , unter Vorausfetzung der phj-
fifchen Mittel (3) die Urfache ili, macht einen
G e g e n ft a n d , ein O b j e c t der practifchen
Vernunft aus. Diefs ftimmt genau mit 23 zu-
fammen.
66. Uiiterfuchen wir ob es möglich oder
anmöglich f e j , die Handlung zu wollen, wo-
durch das practilche Object (63) wirklich wer-
den foll, fo urtheilen wir practifch.
67. Eii> Object (65) wird practifch e r-
kannt, oder wir haben eine practifche
E r k e n n t n i f s von demfelben , wenn wir
li 3
einfeheii , dals die Handlung , wodurch es
wirklich werden foll , möglich fey.
ög. Wenn das practifche Object , das
wirklich werden Ibll , fbwohl Zweck (2) als
Beftimmunpsgrund des Willens iA; (*'>) fo mufs,
um über ihn iirtheilen (66) zu können, zuerft
unfere phjfifche Kraft in Anfchlag gebracht,
die Frage nähmlich beantwortet werden, ob
auch diefe auslangt, den Zweck zu erreichen,
der unfern Willen beftimmen foll, ihn zu wol-
len : der Zweck muls phyfifch möglich
fevn. Denn wenn er phjfifch unmöglich ift ,
kann er, als Beftimmurigsgrund des Willens,
auch keinen möglichen Willen hervorbringen:
es iß ein flüchtiger W u n fch , kein Willen,
der ernfte Ergreifung der Mittel fordert.
69. Ift Gii^ Object (6^) zwar Zweck
der Willens , aber nicht ßeßimmungsgrund
defTelben , wird diefcr durch das Gefetz äpriori
beltimmt; (48) fo kann das practifche Urtheil
(66) nicht die Ausführbarkeit des Zweckes
betreffen , da diefe unfere phjfifchen Kräfte
bey weitem überfteigen (ö) und der Wille doch,
durch das Gefetz , beftimmt werden kann,
70. Hier betrifft demnach das practifche
Ürtheil die Einfichi in die Uebereinfiimmung,
oder in den Widcrfpruch der Maxime mit deori
Gefetze. Im erlten Falle ift er möglich, im
andern unmöglich.
^3
^l. Aber die Maxime , die mit dem Ge-
fetze übereinßimmt, darf man, die demwi-
derfpricht, darf man nicht: auch beziehen
fich diefe Ausdrücke auf die M oral i tat der
Handlung. Folglich betrifft das practifche Ur-
tlieil über einen , durch das Gcfetz d priori
beftimmten Willen, delTen moralifche
Möglichkeit oder Unmöglichkeit,
(ielTen M o r a 1 i t ä t oder U n m o r a 1 i t ä t«
II.
72. Das Urtheil über das Erreichen oder
Verfehlen des Zweckes, betrifft nur die phjft«
iche Möglichkeit. (68) Nun ift der Wille, bej
dem die phjfifche Möglichkeit beurtheilt wer-
den mufs , ein empirifch beftimmter Wille, in
i'o fern er von phylifchen Kräften abhängt,
die nicht nothwendig zu feinem Zwecke Itim-
men mülTen. Aber das Erreichen und Verfeh-
len eines Zweckes trägt zu unferm Wohl und
Weh hey. (31. 32.) Folglich beziehen fich die
Begriffe Wohl und Weh blofs auf den empi-
rifch beftimmten , aber nicht auf den nothwen-
digen Willen. Ein Zweck kann dem einen
wohl 5 dem andern wehe thun,
/^<> Jede Handlung, die nadi einer Ma-
xime wirklich wird , die mit dem practifchen
Gefetze übereinftimmt , iß , als moralifche
That, (71} gut; jede Handlung, die nachei-
B 4
24
jicr Maxime wirklich wird, die dem practi-
fchen Gf fetze widerfpriclit , ift, als eine un-
moralifche That, (71) eine böfe Thal. Der
Dieb, der uiigeftört einbricht, begeht eine
böle Thar; an dem Diebe, der vom Einbre-
chen abgehalten wird, wird eine gute That
begangen.
74, Da nun hierbey gar nicht auf die
phy filche Moghchkeit (65) der Handlung , fon-
dern blofs auf deren moralifche Möglichkeit
('l) Kütkficht genommen wird; (73) fo hat
die gute That das practifche Gefetz zum Be-
itimmungsgrunde des Willens gehabt, delTen
Object fie ift. (6c,) Nun aber ift das Gefetz
allgemeingültig. (_;g) Folglich beziehen fich
die Begrilfe gut und böfe auf Handlungen,
die allgemein gut oder böfe find, unab-
hängig von der Vefchiedenheil der dadurch
erreirhten oder verfehlten Zwecke: eine gute
H?<ndlung iTiufs für jedermann gut fejn, eine
böle für jedermann böfe.
73. Da nun die Begriffe gut und böfe all-
gemein gültig, und daher practifche Begriffe
d priori leyn muffen ; (74) fo können fie, eben
fo wenig wie die Verßandesbegriffe d priori
der reinen theoretifchen Vernunft, in der Er-
fahrung .ingetroffen werden. Das Gute oder
Böfe in der Erfahrung ilt Itets nur gut oder
böfe zu etwas, zur Erreichung eines Zwe-
ckes: gut heilst in der Erfahrung-, wodurch uhb
«rohl wird, und böfe, wodurch uns weh wird.
Diefsißaber nur das bedingt Gute oderBöfc,
nicht das Gute und Böfe, das, als ein allgemein
gültiger Begriff a/jr/or/, unbedingt fejnmufs.
y6. Daher werden die practifchen Begriff
fe d priori des unbedingt Guten und Böfen ,
nur auf die reine practifche Vernunft Be-
zug haben, werden mit ihr in Relation
liehen: was fie befiehlt ift unbedingt gut,
was ihr widerfpricht , unbedingt b ö f e.
yy. Die practifchen Begriffe gehören dem-
nach unter die Categorie der Relation. (76)
Aber indem wir unfern Willen zum Guten be-
itimmen , erlangen wir eine Caufalität der Ver-
nunft. (49) Folglich gehört der Begriff des
Guten zwar zu der Categorie Caufalität, aber
einer eigenen Caufalität , deren Urfache Ver>
nunft iß. (30)
78. Wenn wir abei unterfuchen, ob eine
Maxime gut oder böfe fej , fuchen wir ihre
moralifche Möglichkeit oder Unmöglichkeit zu
erfahren; (7') und diefes Unterfuchen heifst
practifch urtheilen. (66) Folglich mufs es auch
hier eben fo viel Categorien geben, als es For-
men der Urtheile überhaupt gibt. (§. 88. feq.)
79 Aber alle diefs Categorien gehören
dennoch zu der einzigen Categorie Caufalität.
(7 7) Folglich enthält die -C a u f a 1 i t ä t der
Vernunft, oder derWillkühr ebenfalls
zwölf Modificationen unter fich.
BS
s6
m.
go. Zur bequemem Ueberficht wollen wir
die Formen der Urtheile, neben die ihnen ent-
fprechenden practifchen Categorien, ftellen.
Tafel
der practifchen Ur- der practifchen Cate-
theile. gorien.
I. I.
Quantität. Quantität.
Maximen.
Vorfthrifte«.
Gefetze.
2.
Qualität.
Kegel zum Thun.
Regel zum Laflen.
. Regel zur Ausnahme,
3-
Relation.
Auf die Perfönlich-
keit. *)
Auf den ZuRand der
Perfon.
Wechfelfeitig einerPer-
fon auf den Zußand
der andern.
♦) Unten %. 177 wird gezeigt , dafs eigentlich nur die
Kraft des Menfchen , vermöge deren er im Stande ift,
fleh über die finnlichen Antriebe zu erheben , feine
Perfönlichkeit jusoiache.
Einzelne.
Befondere.
Allgemeine.
2.
Qualität,
Bejahende.
Verneinende.
Limitirende.
3*
Relation.
Categorifche,
Hjpothetifche.
Disjunctive,
4.
Modalität,
Probleinatifche.
Airertorifchc.
Apodictifche.
«7
4.
Modalität.
Das Erlaubte und nicht
Erlaubte,
Das Pflichtmäfsige und
Pflichtwidrige.
Vollkommene und un-
vollkommene Pflicht,
gl. Einige Bevfpiele werden die Ueber»
einßimmung der Categorien mit den Formen
der Urtheile, hoffentlich hinreichend ins Licht
feizen. Der Satz: ich will mir täglich Bewe-
gung machen , als Folge der Willensbeftim-
mung betrachtet , enthält eine Maxime, die
eine Regel zum thun, mir, als erlaubt
in die Hand gibt. Ehe aber diefe Willensbe-
ftimmung wirklich wird, mufs ihr die Unter-
fuchung der Möglichkeit, das prartifche Urtheil :
ich kann mir täglich Bewegung machen, vor-
an gehen. Diefes Urtheil ifi der Quantität
nach einzeln, der Qualität nach beja-
hend. Da ich nun keine Bedingung voraus
fetze, fondern die Handlung für gewifs mög-
lich halte ; fo ift fie der Relation nach ca-
tegorifch. Endlich v/eil in dem Urtheil
blofs von meinem Kö n ne n , nicht Sollen
oder Muffen gelprochen wird, iß es der
Modalität nach p r obl ema tifch. Alfo ift
das Urtheil ein einzelnes, bejahendes, catc-
28
gorifches, problematifches, practifches Urthail.
Habe ich nun einmahl die Möglichkeit unter-
fucht, und meinen Willen ihr zu Folge be-
ftimmt, fo entfteht daraus die für meine Per-
fon erlaubte Maxime, nach der etr
was gefchehen wird.
82. Eben fo liegt dem Satze: wer feine
Gefundheit erhalten will , mufs nicht den gan-
zen Tag zu Haufe fitzen , eine Unterfuchung
iiber die Möglichkeit zur Erhaltung der Cc-
fundheit zu Grunde. Er ift demnach ein prac-
tifches Urtheil , (66) das der Quantität nach
be fonders, der Qualität nach vernei-
nend ift. Denn es gilt nur für die Anzahl von
Menfchen, die den Zweck erreichen will , als
Verneinung. Aber eben weil nur der Zweck
die Bedingung ift, unter der das Prädicat des
Satzes wahr wird , iß er der Relation nach
h y p o t h e t i f c h. Endlich wird die Verbin-
dung zwifchen dem Subjecte und dem Prädi-
cate des Satzes, weder als möglich , noch als
nothwendig , fondern blofs als gewifs ange-
nommen^ Folglich ift die Modalität des
Satzes af fe rto ri fch. Beftimme ich nun
meinen Willen durch den Satz, indem ich fa-
ge : weil ich meine Gefundheit erhalten will ,
will ich auch nicht den ganzen Tag zu Haufe
fitzen; fo mufs ihm das gedachte Urtheil als
Oberfalz voraus gehen , unter den ich meine
Willensbeftiirmiung als Unterfatz fubfumire.
i)er Oberfatz iß demnach eine Vorfchrift
2um Unter 1 äffen, die auf den Zustand,
die Erhaltung der Gefundheit nähmlich, als
pflichtm älsige Handlung Eintlufs hat.
83. Aus diefen Bejfpielen erhellet aber^
dafs in der practifchen Vernunft gerade der
entgegengefetzte Weg eingefchlagen werden
mufste , als bcy der Critik der fpeculativen.
Hier fetzten die Urtheile die ihnen entfprecheii-
den Categorien zu ihrer Möglichkeit, und die-
fe abermahls die Formen der Sinnlichkeit vor-
aus. (§. 105. feq ) Daher mufsten auch die
Categorien vor den Grundfätzen behandelt
werden. Hingegen in den Unterfuchungen über
die practifche Vernunft geht jeder Categoric
ein Urtheil voraus , das die Möglichkeit zur
Willensbeßimmung enthält. Folglich mufsten
auch die Urtheile vor den Begriffen behandelt
werden.
84- Zx^ejtens ficht man , dafs auch hier
die dritten Categorien Itets aus der Verbindung
der beyden erßen entfpringen. Die Vorfchrift
(ig) die für jeden als Maxime (13) gilt, ift
ein Gefetz. (13) Die Regel die theils ein
Thun, theils ein Lalfen enthält, iß eine Re-
gel zur Ausnahme. Das was meine Perfön-
lichkeit in des andern Willen abändert , ha;
sinen Bezug von meiner Perfon auf den Zu-
ftand des andern. Endlich iß das Pflichtmäfsi-
g<^ (55) als erlaubt, und daher übereinßim*
niend mil dem Gefetze betraclitet, eine voll-
Ivommene Pflicht. (33)
83. Diefe Categorien beziehen fich zwar*
alle nur auf ein Urtheil über das bedinot Gute
o
oder das bedingt Böfe, alfo nur auf die Mög-
lichkeit einer Handlung in der Sinnenwelt:
das Gute oder Böfe, delTen Categorien obige
Tafel enthält, iltHetszu etwas gut, oder zu
etwas böfe , und mufs es feyn , weil fonß die
Categorien blofse Begriffe , ohne ihnen zu
Grunde lieo-ende Handlnno-en wären. Allein
da fie fo allgemein genommen worden , dafs
gar kein empirifcher Beltimmungsgrund des
Willens, der fie veranlagen folite , eingemifcht
ward; fo können fie auch ihr Gebieth in die
intelligibile Welt, über das unbedingt Gu-
te ausdehnen. Denn das Pflichtmäfsige (53)
kommt , der Wirkung nach , mit der Hand-
lung aus Pflicht (ibi.) überein; nur dafs diefe
einen aus reiner Vernunft, jene einen empi-
rifch gegebnen Beltimmungsgrund vorausfetzt.
Wenn alfo hier ^ in der Sinnenwelt , etwas
pflichtmäfsig gethan wird, fo ill die Wirkung
fchon Beweis , dafs eine unbedingt gute Hand-
lung keinen Widerfpruch enthält, dafs fie
logifch möglich ift; und die Categorien, die auf
das Pflichtmäfsige, als bedingt gute Handlun-
gen paffen, können auch auf Handlungen aus
Pflicht, als unbedingt gute Handlungen ange-
wandt werden. Die einxige Frage bliebe nun
31
noch zurück, wie lind folche unbedingt gute
Handlungen wirklich zu machen ? Darauf aber
ift das practifche Gefetz die Antwort : handele
fo, dafs deine Maxime ein allgemeines Gefetz
werden könne.
VIERTE VORLESUNG.
I.
(Von der Deductioa des practifchen Gefetzes.),
86» Wir haben fchon in der Critik der
jreinen Vernunft (§. 109« feq.) gezeigt, dafs je-
der Begriff und jeder Grundfatz ä priori , ei-
ner Deduction bedärfe, weil er fonft blofs et-
was Gedachtes ohne Anfchauung wäre , alfo
keine Erkenntnifs (§. 71.) gewähren könnte^,
Man hat daher auch ürfache nach einer De-
duction unferes practifchen Grundfatzes (40}
zu fragen.
87. Allein, dafs eine wirkliche Deduction
von diefem Grundfaize zu geben, unmöglich
fey , er aber demunerachtet fe/t Rehe, wird
aus folgenden Betrachtungen erhellen.
88- Dafs eine Handlung des Menfchen^
die zum Theil durch die Caufalverbindung in
der Welt , zum Theil aber durch die Vernunft
beftimmt wird , einen doppelten Character,
eineti empirifcken und einen intelligibilen habe^
j(t iii der CriLik dei reinen Vernunft (§. 489J
gezeigt worden.
89. Auch haben wir dort (§. 216) das
Wort Natur durch den regehDaCsigen, noth-
wendigen Zufanimenhang der Erfcheinungen,,
ihrem Dafeyn nach , erklärt. Bejdes inufs
hier genauer erwogen werden.
90. Eine von den Regeln , nach denen,
wir diefe Natur erkennen , ilt das Gefetz der
Caufalität, vermöge (ieJOfen jede Erfcheinung
ihre Urfache haben miifs. Soll daher mein
Willen Gegenitand möglicher Erfahrung wer-
den, und alfo zur Natur der Erfcheinungen
gehören; fo mufs er, wie jede Erfcheinung,
durch etwas von ihzn verfchiedenes , von einer
Urfache beßimmt werden. Der Wille ift dem-
nach, fo weit er cmpirifch gegeben wird, dem
Gefetzc der Natur, der Natur felbft unterwor-
fen.
91. DIefes würde aber Heteronomio des
Willens (39) geben: der Wille würde nichts
durchfiel! felbft, nach einer ihm eigenthümli-
chen Caufalität ^ fondern alles, vermittelft der
ihn bcftimmenden cmpinfchen Urfache, beftim-
men.
92. Von der andern Seite aber mufs der
Menfch , bey jeder Handlung , der er morali-
fchen Werth (j \) beylegt, das practifche Ge-
fetz vor Augen haben. Da aber dlefs keine
jMaterie (23) enthalten, (24) der Beweggrund
zur
.33
EurBeftimmung des Wiiiens (4) nicht als irieb-
feder (ibi.) empirilch gegeben fevn kann; fo
mufs, in diefem Falle, die ürfaclie der Willens-
beftimmung nicht in der (89) erklärten Natur
derErfcheinungen enthalten fej^n. Diefes wür-
de, wenigftens von negativen Seite, Avtono-
mie des Willens (58) geben: die Urfache zur
Willensbeltiinmung wäre nicht empirifch.
93. Aber diefe hier gezeigte Avtonomie
(';2) und die vorhin (91) erwiefeneHeterono-
mie ßeheri in offenbarem Widerfpruche: nacli
der erften kann der Wille nicht empiriich
beftimmt werden, fondern ifl er vielmehr die
Urfache zu nttlichen Handlungen ; nach der
zwejten mufs er empirifch beftimmt werden y
und ill nur Folge von äulTern auf ihn wirken-
den Urfachen«
. 94. Um uns nun aus diefem Widerfpru-
che heraus zu winden, mufs man einen Mittel-
fall annehmen , wodurch die Oppofition nur
dialeetifch (§ 45 •) ausfällt. Gibt es nähmlich
zwej Naturen, eine fenlibile, (3<^) und eine in-
telligibile, worin die Vernunft einzige Ui fa-
che zu den in ihr hervorgebrachten Handlun-
gen iß; fo wird in der erften alles empirifchj
in der andern alles nicht empirifch beftimmt.
In der erften mufs Heteronomie des Willens
herrfchen , in der andern Avtonomie von der
negativen Seite. (92)
C
34
95« Steht uun der JVlenfch, gleichfam als
Grenzftein , zwifchen diefen beydcn Naluren,
(94) kann fein Willen fowohl durch empiri-
1'che Gründe , als durch Vernunft beltimrnt
■werden; fo ilt gar kein Widerfpi'iich vorhan-
den. In fo fern fein Willen durch empirifche
Antriebe beiiinimt wird, in fo fern die Hand-
lung einen empirifchen Character (§. 489) hat;
.•gehört die Willensbefiimmung: zur fenfibilen
N'atur, (89) wird der Wille durch die Natur
befiimmt , findet Heteronomie des Willens
ftatt. In fo fern aber fein Willen von der rei-
nen Vernunft beliin>mt wird — wie er dann das
werden mufs , wenn die Handlung Httlichen
Werth haben foll — in fo fern alfo die Hand-
lung einen intelligibilen Character hat ; gehört
auch die Willensbeßimmung zur intelligibilen
Natur (93) , wird die Natur durch den Willen
beftimmt, herrfcht Avtonomie des W^illens
fogar von der pofitiven Seite. Denn der Wil-
len bringt , durch eine ihm eigenthümlichc
Caufalität, (49) fittliche Handlungen hervor.
g6. Alfo nochmahls ! In der empirifchen
Natur, in der Sinnenwelt, mufs der Willen
ftets durch empirifche Gründe beltimrnt wer-
den ; und, wenn er ja durch fich fclbft beftimmt
werden , und fittliche Handlung blofs nach
dem Befelil der reinen Vernunft hervorbringen
kann, gehört er alsdann fchon , iudiefem Be-
tracht, zur intelhgibilen Natur.
3.5
97* Daraus ergibt fich aber, dafs von dem
Jjractifchen Griindfatze (46) keine Deduction ,
wenigftens keine foiche möglich fev , als wir
von den Grundfatzen der theoretifchen Ver-
nunft ($. 140 feq.) gegeben. Dortbefiand die
Deduction darin , dafs man zeigte, fie wären
zur Erkenntnifs der Erfahruno^sfatze nothwen-
dig, fie machten die Erfahrung möglich. Sic
waren demnach gleichfam die Urfache zu der
Erkenntnifs der Erfcheinungen in der empiri-
fchen Natur. Diefs zu zeigen, fällt aber hier
ganz unmöglich aus. Denn ein ähnliches Ver-
fahren mit dem practifchen Grundfalze vorzu-
tiehmen, würde erfordern, dafs man zeige,
wie unmöglich es in der empirlfclien Na-
tur fev Handlangen zu Stande ?,!i bringen,
wofern nicht der Wille durch ihn beüimmt
wird. Aber das ilt nicht wahr: in der cm-
pirifchen Natur ilt der Wille nicht die Urfache
der Handlungen , wird er felbft nicht durch
das practifche Gefetz , ibndern von empiri-
fchen Gründen beftimmt , ((>6) und keine
Handlung wird durch ihn mögiich, zu keiner
ift er fo nothwendig , um ihn aus derfelben dc-
duciren zu können.
98. Nun könnte man vielleicht verfuchen,
ihn aus blofs litilichen Handlungen deduciren
zu wollen. Denn zu diefen ift er eben fo noth-
wendig, als die Grundfätze der theoretifchen
Vernunft zu den empirifchen Handlungen. Al-
C :j
.3^>
lein das geht auch nicht wohl an. Sittlicher
Handlungen, gehören, als folche, ziirintelli-
gibilen Natur, (96) und blofs littliche Handlun-
gen fnid daher nur in ihr, aufserhalb der Grenze
möglicher Erfahrung , des Gebiethes unferer
Erkenntnifs anzutreffen ; und daher können wir
uns auch nicht auf lie berufen , um die Recht-
mälTigkeit eines Grundfatzes zu belegen, der
lie möglich machen foll. Bevor uns nicht die
littliche Handlung als wirklich gegeben ili*
bedarf es auch keines Grundfatzes , der ihre
Möglichkeit enthält.
IL
p9. Allein man fordert mehr als zurDe-
ducliorl eines practifchen Grundfatzes geleiftet
zu werden braucht; und daher wird es fich
aus folgenden Betrachtungen ergeben , dafs
der practifche Grundfatz , auch ohne geführte
Deduction fefi liehe.
100. In der Critikder reinen theoretifchen
Vernunft (§. 58Ö) haben wir die theoretifche
Erkenntnifs von der praetifclien dadurch un-
terfchiedcn, dafs dieerfte lieh auf das beziehe,
was da ist, die andern auf das, was da
fejn foll.
10). Daraus folgt nun, dafs man zur
theoretifchen Erkenntnifs nothwend-g Begriff
und Anfchauung brauche; und zwar die An«.
.37
fcliauung- deGjhalb , um die nietaphyfiiche Mög-
lichkeit der gedachten Erfcheinung zu be-
legen. Ohne diefe metaphj'^firche Möglichkeit,
könnte der Begriff noch fo logifch möglich,
noch fo frey vom Widerfpruche fejn ; von dem
^-as da ist, gäbe er uns keine Erkenntnifs.
102. Ganz anders verhält es lieh mit der
practifchen Erkenntnifs. Hier kann man nicht
verlangen, dafs man uns die Anfchauung des
Gegenßandes in der Erfahrung geben foll ,
auf die der Begriff fich bezieht : denn diefs
hiefse einen Widerfpruch verlangen. Die An-
fchauung foll doch erlt durch die practifche
Erkenntnifs gefchehen , und ist daher noch
nicht vorhanden.
103. Daher ei klärten wir (67) practifche
Erkenntnifs durch die Einficht in die Möglich-
keit einer Handlung , wodurch ein Object
wirklich werden foll. So hat jemand eine prac-
tifche Erkenntnifs vom Glasfchleifen , wenn
er einfieht, dafs die Handlung, wodurch ein
ebenes Glas in ein erhabenes oder holes ver-
wandelt wird, möglich fey , Ibllte er auch
jiicht die kleinfte Linfe felbii verfertigen kön-
nen. Das Glasfchleifen ift das Object, und
die Einficht in die Möglichkeit der Handlung,
um diefes Object wirklich zu machen, ift der
Begriff diefer practifchen Erkenntnifs.
104. Der Begriff in der practifchen Er-
kenntnifs mufs feine logifche Möglichkeit er-
3^
härten , muis zeigen . ilals er trey vom Wi-
derrpiuclic i'cy. Seine Objectivitat aber braucht
er nicht dmch W irkhchmachiing des Ob-
jects , durch Beziehung auf eine wirkliche An-
fchauung zu beweifen. Denn alsdann wäre e&.
theoretifche Erkenntnifs : das Object wäre
da. Er hat nur nöthig zu zeigen, dafs das
Object durch die Handlung, und Mir durch lie
wirklich werde, um pr^ctifche Objecti-
vitat zu erlangen.
105. Daraus fehen wir nun ferner, dafs
Grundfätze , die zur practifchen ^Lrkenntnifs
führen, gerade das Widerfpiel derer der theo-
retifchen Erkenntnifs find. Hier ift das Object
fchon da, und der Begriff wird objectiv gül-
tig, wenn er auf das Object zurückgeführt,
wenn gezeiQ:t wird , wie diefs fchon vorhan-
dene Object zu denken möglich fey. Hier,
in der practifchen Erkenntnifs, ift der Begriff
fchon da , und das Object kann werden,
wenn man zeigt , wie es aus dem Begriffe
möglich zu niachen, zu deduciren fcye^
Der Unterichied iß einleuchtend.
HL
106. Gehen wir nun zu unferm practifchen
Grundfätze (| ) zurück, fo, finden wir, dafs
alles fich mit ihn» eben fo, Avie mit jedem prac-
tifchen Grundfätze, verhalte.
39
\o7' Ei'ie intelligibile , oder moralifche
Welt, ilt, wie wir fchoii aus der Critik der
reinen Vernunft wifTen (§. 694) eine folclie,
worin alles dem Gefetze der Vernunft gemäfs
gefchieht.
108. Vorausgefetzt, dafs diefe intelligi-
bile Welt wirklich werden foll ; fo ift fie ein
practifches Object, {6^) von dem wir eine
practifche Erkenntnifs bekommen, wenn wir
die Handlungen kennen, wodurch es möglich
wird. (66)
109. Verhilft uns nun ein Gvundfatz zu
der practifclien Erkenntnifs diefes Objects ;
(108) fo mufs man 5 ehe man ihm practifche
Objectivität einräumen kann, drej Fragen be-
antworten. Erlilich ; enthält das Object kei-
nen Widerfpruch ? Zweytens: warum foll t?
werden ? Denn wenn es nicht zu werden
braucht, ift auch der Grundfatz felblt nur hj-
pothetifch , nicht nothwendig objectiv. Drit-
tens: wie wird durch den Grundfatz das Ob-
jj^ct möglich, wie wird diefes von ihm deda-
cirt?
110. Dafs der Begriff einer intelligibilen
Welt keinen Widerfpruch enthalte, alfo das
Object logifch möglich fej , ift in der Critik
der reinen Vernunft (§. 489 u. 694 feq.) gezeigt
worden.
111. Eben fo wurde dort(ibi,) die zweyte
Frage {109) beantwvortet. Da> Objea mufs
C 4
4<»
n^irklich weiden, um die Uebereintiimmung
zwifchcii Moralität und Glückfeligkeit möglich
zu machen.
ii'2. Es bliebe all'o noch die dritte Frage
(lop) übrig: wie ift nähmlich diefes Object
möglich zu machen , oder welches find die
Mittel um eine intelligibilc Welt zur Realltap
zubringen? Dazu dient uns unfer practifcher
Grundfatz. Denn wenn jeder fo handelt, dafs
die Maxime feines Willens zur allgemeinen
Gefetzgebung tauglich wird, ßehen in einer
folchen Welt alle Handlung blofs unter dem
Gefetze der Vernunft , herrfcht in ihr voll-
kommene Avtonomie des Willens, ift fie ei-
ne intelligibile Welt.
113. Das Object alfo , die intelligibile
Welt , bedarf unferes Grundfatzes zu ihrer
Wirklichwerdung , und wird daher practifch
von ihm dediicirt. Folglich haben wir eine
practifche objective Erkcnntnifs von diefem
Grundfatze. (6")
114. Alfo nochmahls ! Die theoretifche
Deduction (§. 108) unferes Grundfatzes zu fu-
chen , ift unmöglich. Denn in der fcnfibilen
Welt kann ihm keint; Handlung als Anfchau-
ung enlfprechen , da in ihr Neigungen und Lei-
denfchaflcn Beltimmungsgriinde des Willens
find, und fülgüch Heteronomie herifcht. Auch
ift diefe Deduction nicht in der intclligibilen
Welt theoreiifch möglidi zu finden , da es
41
dem Menfchen unmöglich fällt, Anl'chauun-
gcn aus ihr zu erhalten.
115. Practifch kann der Grundfatz nicht
von der intelligibilen Welt deducirt werden ,
da fie. vielmehr von ihm ihre Deduction er-
hält. (11^) Was aUo noch übrig bleibt, ift ,
dafs man ihn practifch aus der fenfibilen Welt
deducire , d. h dafs man zeige: wenn eine
Handlung fittlichen Werth haben foll, fie ihn
durch die üebereinftimmung mit dem practi-
fchen Gefetze bekommen könne. Nun, dag
iß fcjion in der Daritellung des practifchen
Grundfatzes (1—46) geichehen.
FÜ]^FTE VORLESUNG.
IV.
(Wie ifi es möglich den Begriff der Caufalitäl
auf die inteUigibile Welt anzuwenden ?)
116. Wir können die Betrachtung über
das praetifche Gefetz nicht verlalTen , ohne ei-
ne Frage zu beantworten , die jedem gewifs
yon felbß einfällt, und die darin befteht: wie
kommen wir zu der Befugnifs die Categori^
Caufalität, auf die inteUigibile Welt anzuwen<»
den ?
117. Sobald wir nähmlich fagen : die
Handlungen in der intelligibilen Weit werden
C3
4-2
von dem practiichen Griindfatze deducirt; (i 13)
lo heiüt das, als fagten wir^ nur mit andern
Worten: das practifche Getletz fej die Urfache,
und die Handlungen in der moralifchen Wel^
deffen Wirkungen. Wir fcheinen demnach
fiillfchweigend anzunehmen , dafs auch in ihr,
von der wir keine theoretifche Erkenntnifs
(5- J)SQ haben, noch haben können, (§. 71)
das Gefetz der Caufalität ftatt finde. Nun aber
haben wir in der Critik der reinen Vernunft
(S- l3^0 gezeigt, dafs diefe Categorie , fo wie
alle anderen , nur zum ßehufe möglicher Er-
fahnnig gültig (ind, und daher ihr Gebieth
nicht üUer diefe Grenze ausdehnen dürfen.
Diefe Behauptung aber fcheint mit der Gegen-
wärtigen gar nicht zufammen ftimmen zu wol-
len : dort wird gelehrt, dafs der Begriff Cau-
falität nur auf die Sinnenwelt paffe; hier,
dafs er auch über diefer hinaus , lelblt für die
moralifche Welt gültig fey.
iig. Ehe wir zur Beantwortung diefer
Frage fchreiten , muffen wir auf noch eine an-
dere aufmerkfam machen. In der Sinnenwelt
ift der Rückgang von Wirkung zu Urfache in
unbeltimmte Weite: (§.439) wir können kei^
re Erfcheinung als die letzte, unbedingte Ur-
fache annehmen. Hier hingegen, in iinferer
Behauptung von der Caufalität der morali*
fchen Welt, ift das practifche Gefetz gleichlam
<iif; letzte , unbedingte Urfache alles dcHen ,
43
was in ihr gefchielit; alle Handlungen in der-
i'elben fangen von ihm an. Zugegeben alfo,
dafs in der intelligibilen Welt auch Caufalver-
bindnng ftatt finde ; fo bleibt doch noch im-
mer die Fra^e: woher find wir berechtigt , fie
anders als hienieden in der Sinnenwelt an-
zunehmen? woher berechtigt , fie hier irgend-
wo authören zu lalTen, da wir fie in der Sin-
nenwelt nie aufhören lafTen können?
119. Eine Frage (217) möchte aber die
Antwort der andern (118) feyn. In der Cri-
tik der reinen Vernunft (§. 419 feq.) haben
wir nähmlich gezeigt, dafs der Menfch fich für
die Behauptungen des Dogmatismus, (§. 421)
und vorzüglich für den Satz einer unbeding-
ten Urfacbe interelTire. Der Grund zu diefem
InterelFe liegt in dem Wunfche des Menfchen,
gern etwas vom Ueberfinnlichen zu erfahren,
jVlüfste man nähmlich immer von Urfache zu
Urf.iche zurückgehen, fliefse man nie auf eine
unbedingte Urfache; fo wäre auch alles, was
wir erkennen , nur bedingt, nur Erfcheinung,
fo wäre der Uebergang zum Ueberfinnlichen
völlig unmöglich.
120. Könnte aber eine, wenn auch nur
Eine unbedingte Urfache, Gegenfiand iinfe-
rer Erkenntnifs werden; fo würde fie, als et^
was Unbedingtes, wenigßcns von der nega-
tiven Seite, zu dem Ueberfinnlichen gezählt
Verden können: als unbedingt, gehörte fie
44
wenigftcns nicht zu den Erfclieinnngen. Die
Brücke wäre gleiclifam gefchlagen , auf der
wir den Uebergang in das Reich der InteUi-
genzen hoffen könnten.
121. Aber wie weiter? Nach welchem
Gefetze wollen wir iinfere Reife in diefem
Reiche fortfetzen ? Die Cauiklverbindnng, die
uns hier als Wegweiler diente, uns ftets von
Urfache zu Wirkung führte, ift dort vielleicht
ein widerfprechender Begriff, kann uns dort
vielleicht gar nicht leiten ?
122. Thun wir aber Verzicht auf theore-
tifche Erkenntnils (§. 58Ö) des fntelligibilen ,
und begnügen uns blofs mit der practifchen ;
(67) fo wird diefe unfere Bedenklichkeit von
felblt gehoben , und alle unfere Fragen wer-
den von fclbft beantwortet.
123. Wir haben nähmiich , auch in der
Sinnenwelt, einen Willen , durch v/elchen et-
was w i rkl ich werden f o 1 1 , der alfo Itets
die practifche Urfache zu einer Wirkung ilt.
Wird der Wille blofs vofi der Vernunft be-
nimmt, ifi er re'n von allen empirifchen An-
trieben ; fo ift er auch lieber die unbeding-
te practifche Urfache der Handlungen, denen
wir moralifchen Werth bey legen : (7 1) er macht
die moralii'che Handlung möglich, wenn er fie
gleich nicht wirklich zu machen im Stande ift, (6)
124. Daraus nun, dafs de»- reine Wille
(123) die zwar nicht thcoietifche ; aber doch
43
l^ractlfche , unbedingte Urfache der moralifchen
Handlungen ift , daraus nähmlich, dafs mora-
lifche Handlungen durch ihn allein wirklich
werden können, wenn auch nicht wirk-
lich werden; erhalten wir einen dreyfachen
Vortheil , der hier angezeigt , und fogleich
erklärt werden foll. Erftens lalTcn wir , beym
theoretifchen Gebrauche der Vernunft, den Na-
turmechanismus, die Caufalverbindung nähm-
lich , von Wirkung zu Urfachen ungeßört in
unbeltimmte Weite fortgehen; zwejtens er-
halten wir, durch den reinen Willen, die ge-
wünfchte unbedingte Urfache, um von der
fenfibilen Welt in die intelligibile übergehen
zu können ; (117) und drit*^ens fehen wir, dafs
auch in diefer intelligibilen Welt das Gcfetz
der Caufalität Itatt finde. (118} Ich fchreite
zur Erklärung.
125. Die Antinomie der Vernunft in Be-
tracht der unbedingten Urläche, (§ 407 feq.)
wurde in der Critik der reinen Vernunft (j. 478)
dahin entfchieden , dafs es , in Bezug auf Er-
fcheinungen, keine unbedingte Urfache gäbe,
fondern alles dem Gefetze der Caufalität urw
terworfen wäre. In Bezug aber auf Dinge,
die nicht zu den Erfcheinungen gehören, wur-
de gezeigt, dafs eine unbedingte Urfache kei-
nen Widerfpruch enthalte, und daher logifch
möglich fej.
46
120. Aber diele logifche Möglichkeit hilft
iiDS zu nichts: ehe wir nicht ein Object haben,
das durch diefe Urfache bewirkt wird , haben
wir gar keine Erkenntnif« von ihr. Wir müf-
i'eu daher das Object auffiichen. Um es aber
zu finden , dürfen wir gewifs keinen Weg ein-
fchlagen , der zu einer theoretifchen Erkennt-
jiifs delTelben führt; denn alsdann müfste diefs
Object, als i^nfchauung, als Erfclieinimg gege-
ben werden , und die Urfache zu den Erfchei-
luuigen kann nicht unbedingt feyn.
127. Es bleibt alfo nur der Seitenweg
offen , der zu einer practifchen Erkenntnifs
führt. Das Object derfelbon foll erft wer-
den, und kann daher nicht als Erfcheinung
fchon gegeben fejn. Wenn wir daher ein Ob-
ject vorfinden , das eine unbedingte Urfache
vorausfetzt; fo haben wir der Annahme einer
unbedingten Urfache mehr als logifche Mög-
lichkfeit, wir haben ihr practifche Wirklichkeit
verfchafft.
isg. Nun kann die Handlung aus Pflicht
(^5) "ur durch den reinen , von Vernunft be-
iümmteli Willen wirklich wfrden* Empiri-
fche, zu den Erfchcinungen gehörige Urfachen
dürfen auf fie keinen Einflufs haben, und die
-Vernunft mufs die unbedingte Urfache dcrfel-
ben feyn. Folglich haben wir von Einer un-
bedingten Urfache , von der Willensbefiim-
mung durch Vernunft nähmlich , eine practi-
47
fche Krkenntnifs : fie iPt logifcli möglich, (§. 478)
und ihr practifches Object ift die Handking aus
Pflicht.
i'^p. Alfo! Weil die Willensbeftimmung
Äu Handlungen aus Pflicht nicht von empi-
rifchen Ur fachen abgeleitet werden
kann , (53) fo gehört die Handlung felbli nicht
zur fenfibilen Well , londern zur intelligibilen;
weil das practifche Geletz die unbedingte
Urfache z i rolclien Handlungen ift , fonr.acht
es den Anfang der intelligibilen Welt aus;
und weil diefe Urfache ihre Wirkung , wenn
auch nicht theoretifch , doch p ra c t i f c h her-
vorbringt , und eine fittliche Handlung als
Wirkung nicht entßehen könnte , die nicht in
dem practifchen Gefetze ihre Urfache fände ,
zeigt es uns , dafs auch in der intelligibilen
Welt das Gefetz der Caufalität flatt finde.
130. Nun find unfere obigen (iiz) F'ra-
gen mit eins beantwortet. Die unbedingte Ur-
fache mufs , wenn es eine gibt, flets die Mög-
lichkeit alles delTen enthalten , das aus ihr als
Wirkung entfpringt, weil fie bedingt wäre,
wenn lie einer höhern Urfache unlergeordnet
wäre, Sie mufs alfo als der Anfan? der gan-
zen nachfolgenden Reihe der bedingten Urfa-
chen betrachtet werden. Ift daher das prac-
tifche Gefetz. die unbedingte Urfache zu fittli-
chen Handlungen; fo ift es auch der Anfang
ein«r intelligibilen Welt.
o
131. Aber das Sitlengefetz ifl wirklich
die practifche Urfaclie zu den fittlichen Hand-
lungen. Folglich gilt das Gefetz der Caufaii-
tat auch in der inlelliglbilen Welt; und die
Critik der practifchen Vernunft hat uns hier
einen Weg geöffnet , der uns von der theore-
tifchen Seite verfchloITen blieb, um in die in-
telligibile Welt übergehen zu können.
132. Nur glaube man nicht , dafs man
nun ]c im Stande feyn werde, etwas aus die-
fer intelligibllen Welt theoretifch zu er-
kennen. Dazu würde das Object in der
Anfchauung gegeben, fchon da feyn muf-
fen, oder wenigftens wirklich gemacht zu
werden , in unferm phyfifchen Vermögen fte-
hen. Diefs ilt aber hier nicht der Fall. Die
Handlungen der intelligibllen Welt, feilen
erß werden, find alfo noch nicht als An-
fchauungen da ; und können auch nicht als
Anfchauungen je exiftiren , da ihre Urfache
unbedingt fejn muls.
133. Die Erkenntnifs betrifft blofs das
Practifche: eine unbedingte Urfache iß ein lo-
gifch möglicher Begriff; eine intelligibile
Welt ift das practifche Object einer unbeding-
ten Urfache. Folglich wird die unbedingte
Urfache practifch erkannt, da fie an derintel-
Jigil^ilen Welt ein Object findet.
SKCHSTE
49
SECHSTE VORLESUNG.
(Von der Typik.)
134. In die Critik der reinen Vernunft
haben wir ( §. 251) die Frage autVeworfen :
wie iß es möglich empirifche Anfchauung-en
unter transcendentale Begriffe , wie die Cate-
gorien find , zu fnbfumiren ? Die Antwort
(§. 233 feq.) war, dafs die Einbildungskraft
an der Zeit ein transcendentales Schema ent-
vverfe, mit dem die Categorie fowohl, als
die Anfchauung etwas gemein fchaftlich habe,
inid das ihnen bejden zum Vermittlei dient.
i<:55. Hier fcheint die nähmliche Frage
noch mit gröfserm Rechte eine Antwort zu
bedürfen. Denn wie wir wiffen gehören Hand-
lungen , die dem practifchcn Gefetze gemäfs
lind, als folche, zur intelligibilen Welt, (96)
und Handlungen der Sinnenwelt werden alle
durch empirifche Beßimmungsgründe des Wil-
lens wirklich. Folglich iß auch die Subfum-
tion einer empirifchen Handlung unter den Be-
griff des practi Gehen Gefetzes, felbß vermittelft
eines Schemas, nicht möglich, hat es fowohl,
als die Categorien (so) keine Handlung als
Object , und die Frage iß: was fangen wir mit
einem practifchen Cefetze an , durch das keine
einzige fittliche Handlung hienieden wirklich
werden kann?
D
-50
i^O. Man bedenke aber, dals das prac-
lifclie Gefetz uns zu gar keiner theoretil'chen
Erkenntnifs , fondern blofs zur prartifchen (6y)
verhelfen, dafs es daher keine Handhing \v i r k-
iich, fondern die Willensbeftimmung mög-
lich machen foll; und dann wird fich leicht
zeigen laflen, dafs man hierzu kein Schema
brauche.
137. Zur theoretifclien Erkenntnifs ge-
lan£i;en wirnähmlich nicht eher, als bis einem
Begriffe eine Anfchauung zu Grunde liegt. Ift
daher der Begriff d priori gegeben ; fo mufs ,
um die Subfumtion der Anfchauung unter den
Begriff möglich zu machen , die Einbildungs-
kraft ein transcendentales Schema entwerfen,
das zum Theil mit dem Bee,riffe, zum Theil
mit der Anfchauung gleichartig ift, um fol-
chor Geltalt als Vermittler zwilchen beyden zu
dienen.
138. Müfste durch das practifche Gefetz
eine Handlung wirklich werden , könnten wir
alfo von der durch das practifche Gefetz wirk-
lich gewordenen Handlung, eine theoretifche
Erkenntnifs erlangen ; fo wäre, da das Gefetz
ein Begriff d priori, die Handlung eine Er-
Icheinung ift, auch die Subfumtion der Hand-
lung unter den Begriff d priori , nur vermtt-
telft eines Schemas denkbar und möglich.
Diefs wäre dann ein Werk der Einbildungs-
kraft.
5i
139. Jetzt aber ibll das praetifche Geletz
nur die Möglichkeit einer fittlichen Willensbe-
iÜmmiing darthun ; und diefe ift nur der Be-
griff einer concreten Handlung?-. Da braucht
es zwifchen dem Begriff einer concreten fittli-
chen Handhnig, und dem practifclien Gefetze,
als dem allgemeinen Begriffe einer
fittlichen Handlung, keines Schemas der Einbil-
dungskraft ; fondern der Verftand allein ift
fchon hinreichend, das Concrete unter das All-
gemeine zu fubfumiren.
IL
140. Wir müITen diefs noch näher be-
trachten. Eingelianden, dafs hier kein Sehe«
ma, fondern nur Verltand nöthig fey, um
das Befondere unter das Allgemeine zu fub-
fumiren; (13C/} fo bleibt doch die Frage: wie
verfährt der Verftand bey diefer Subfumtion?
Ueberall , wo ein befonderer Bcgritf unter dtii
allgemeinen fubfumirt wird , enthalten bejdc
Begriffe etwas Gemeinfchaftliches : der alige-
meine Begriff Menfch enthält , io gut wie der
befondere Cajus , die Beftimmung eines organi-
firten Körpers und vernünftigen Verltandes ;
nur dafs dem Begriffe Cajus noch befon-
dere Beftimmungen zukommen. Hier aber
fcheint der Begriff der concreten Handlung,
mit dem allgemeinen nichts Gemeinfchaftli-
D 2
3*^
ches zu haben. Der allgemeine Begriff littli-
cher Handlungen verlangt eine Willensbeßim-
iniuig nach Vernunft ; der concrete EeerifF ei-
ner fittlichen Handlung, kann eine folcheWil-
lensbeftimmung nicht aufweifen, da hienieden
aller Willen empirifch beftimmt wird , alfo
Handlungen nur pflichtrnäfsig, nicht aus Pflicht
(33) gefchehen.
141 . Man bedarf alfo hier ebenfalls eines
IVIittelbegriffes,um vom allgemeinen practifchen
Gefctze , zu dem Begriffe einer concreten fitt-
liclien Handlung übergehen zu können. Der
IVlittelbegriff , der diefe Subfumtion bewirkt,
heiffe der Typus des practifchen Gefelzes.
142. Urn nun diefen Tjpus (141) zu fin-
den , bemerke man , dafs man , bej jeder
pflichtniäfsigen Handlung die wir begehen
fehen , lagt: fo follten alle Menfchen handeln !
Im Grgentheil, wenn eine pflichtwidrige Hand-
lung verübt wird, fagt man : ich wollte nicht,
dafs alle Menfchen fö wären.
143. Forfcht man dem Grunde zu diefen,
wenn auch nicht immer gefagten, doch gewifs
ftets gedachten Sentenzen nach; fo fieht man
leicht, dafs er kein anderer ili, als weil man
lieh gleichfam das Selbftbekenntnifs ablegt:
man wolle gern einem Naturge fetze
unterworfen fe/n , wornach alle Menfchen
gut, und wolle nicht gern einem andern
-Naturge fetze unterworfen ^eyn, wornach,
53
alle Menfchen böfe handeln miifsten.
Hiervon macht der ärgfte Verbrecher keine
Ausnahme; denn felbß der Strafsenräuber kann
nicht wollen , dafs alle Menfchen fo handeln
müfsten wie er, weil er fonlt ein fehr vergeb-
liches Handwerk triebe : der erfte , der befie
Reifende raubte ihm das Geraubte wieder.
144. Was zeigt uns nun diefes Selbftbe-
kenntnifs? Offenbar diefes. Der Menfch ift
fich wohl bewufst, dafs feine guten, fo wohl,
als böfen Handlungen von empirifchen Grün-
den beftimmt werden. Al)er wenn diefs wä-
re, könnte keine Handlung allgemein gut,
oder allgemein böfe genannt werden; und doch
verdienen fie ihm diefe Nahmen nur dann,
wenn jeder oder kein Menfch fo handeln foll-
te. (142) Was iftzu thun? Erhängt die Hand-
lung an das Naturgefetz. Weil nähmlich die-
fes allgemein iß , und die empirifchen Beftim-
mungsgründe des Willens enthält , will der
Menfch ein Naturgefetz, das zu guten Thaten
zwänge, verwirft er das Gegentheil.
145. Nun aber ift der Begriffeines Natur-
gefetzes Werk des Verßandes. FolgUch kann
e;j den Typus (141) des practifchen Gefetzes
abgeben.
146. Es kann ihn abgeben, und gibt ihn
wirklich ab. Als Gefetz iß es aligemein und
hat mit dem practifchen Gefetze Gemeinfchaft;
ynd als allgemeine Urfache zur empirifchen
D 3
54
Willensbeßimmimg , iteht c; mit der concret^ii
empirilchen Willensbeltimmung im Zufarn-
menhange. Daher geht die gefuchte Siibfiim-
tion auf folgende Art von Statten. Erft wird
die conrreie empirifche Willensbeftimmung,
unter die allgemeine empirifche Urfache der
Willensbeltimmung , unter das Naturgefetz
iiähmlich, als das Individuelle unter das All-
gemeine fuhfumirt. Dann aber diefs Naturge-
fetz felblt dem höheren Gefetze der Vernunft
untergeordnet. Ich wollte nicht , fagt der
Dieb , dafs das Naturgeletz alle Menfchen
zwänge, Diebe zu fcjn. Alfo erfilich fchreibt
er es dem Naturgefetze zu , wenn alle Men-
fchen fo handelten, wie er; und dann unter-
wirft er doch das Naturgefeiz feinein Willen,
indem er iagi: er wolle nicht, und erkennt
daher feine Handlung als nicht durch das Na-
turgefetz verajilafst.
147. Eben auf diefe Art dient die Na-
tur der fenfibilen Welt, der Natur
der iiitelligibilen Welt zum Tjpus.
Denn diefe ift der nothwendige Zufammen-
hang nach dem Gefetze der Vcrijunftcauff li-
tät; (h9) jene der nothv/endige Zufanimen-
hang der Urlachen und Wirkungen, nachdem
Gefetze der Sinnencaufalität. (§. 2 t 6) Daher
haben bejde Naturen die Caufalverbindung
gemeinfchaftlich ; und die fenfibile Natur ent-
hält von der andern Seile die Gründe zurJBe«
55
ftimmung der empiiifclien Handlungen. Folg-
lich, da der Begriff Natur überhaupt, Werk
des Verftandes ift, vermittelt die fenfibüe Na-
tur die empirilchen Handlungen mit der intel«
ligibilen Natur als ein wahrer Typus. (14»)
IIL
148. Aufser dem pofitiven Vortheil , den
wir durch den Typus erhalten , indem wir
durch ihn in den Stand gefetzt werden , em-
pirifche Willensbeftimmungen unter das prac-
tifche Gefetz zu fubfumiren, dient uns die Leh-
re vom Typus, oder die Typik, auch noch
von der negativen Seite. Durch diefe fehen
wir, dafs nur das (46) aufgeitellte practifche
Gefetz, bey der Vernunft fiehen bleibe, ra-
tional i^ey : da hingegen jedes andere, das
tiefer oder höher liegt, entweder in den E m-
pirismus verfdlie , oder fich zumMysti-
c i s m u s hinauflchwinge.
149. Man nennt nähmlich die Lehre von
einem Moralprincip mysiifch, die ihrem
aufgeftellten Grundfatze durch überlinnliche ,
als gegeben gedachte Handlungen , zu Objec^
ten verhelfen zu können wähnt.
130. Hingegen heifst die Lehre von ei-
nem Moralprincip empirifch, die nur von
finnlichen , empirifch gegebnen Handlungen
ihren Grundfatz ableitet.
D 4
56
151. Ohne den Tvpus käme es chrauf an»
ob jemand unfern practifchen Grundfatz ab-
ftreiten wollte, weil fich keine empi>-ifclie VVil-
lensbeftimmung unter einen d priori gefunde-
nen Begriff unmittelbar fiibfnmiren läfst; (140)
oder ob er dem jjractifchcn Gefetze aus dem
Wahne beypflichten wollte , weil er glaubt
ihm überfinnliche Handlungen, als Objecte,
fubfumiren zu können. Im erften Falle ver-
fiele man in den Empirismus; (15) im zwey-
ten verßiege man fich in den Myßicismus. ( 1 49)
1 -.2. Durch die Typik (»48) weicht man
beyden Irrwegen aus. Sie lehrt , dafs empiri-
fche Willensbeflimmungen, vermittelftdes Ty-
pus , fehr gut unter das practifche Gefetz fub-
fumirt werden können ; und dafs daher das
Object dcITelben nicht überfinnlich, noch es
felbPt ein Abftractum aus empirifchen Hand-
lungen zu feyn braucht.
SIEBENTE VORLESUNG.
I.
(Von den Triebfedern der reinen practifcheia
Vernunft.)
153, Dafs eine Handlung nur dann m o-
ralifchen Werth habe, wenn das prac-
tifche Gefetz unmittelbarer Beftimmungs-
57
grund des Willens ift, dafs fie legal, oder
pflichtmäfsig fej , nicht aus Pflicht
gefchehe, wenn etwas Empirifches fichindie-
{en Bertimmungsgmnd mifcht, ift oben (35)
theils erklärt worden, theils erhellet es ausdenri
ganzen Verlauf unferer Betrachtungen.
154. Eben fo haben wir (4) das Wort
Triebfeder erklärt, und (7) gezeigt, dafs je-
der Beweggrund doch am Ende einen Bezug
auf uns , auf unfer Gefühl haben, alfo eine
Triebfeder vorausgefetzt werden muffe.
15^, Nun kann die fittliche Handlung
keine empirifche Triebfeder haben, denn fonß
würde (ie höchftens pflichtmäfsig , nicht aus
Pflicht gefchehen. Folglich , da nur das prac-
tifche Gefetz der Beweggrund der littlicheii
Handlung fejn darf, entfteht die Frage: in
welchem Bezug fieht dalTelbe mit unferm Ge-
fühl , um folchergeßalt Triebfeder abgeben ,
und uns zu Handlungen bewegen zu können?
Die Antwort wird aus folgenden Betrachtun-
gen erhellen.
156. Die erfte Wirkung, die das practi-
fche Gefetz auf den Willen delfenhat, der fich
dadurch beltimmen läfst, ift, dafs er feinen
Willeji nicht von fuinlichen Antrieben und
Neigungen beftimmen lallen kann ; denndiefe
find nicht ä priori gegeben , und können da-
her nicht eiti allgemeines Gefetz für alle ver-
nünftige Weien werden. Diefe Wirkung ift
D 5
5B
aber, wie man ficht, nur negativ: fie zeigt,
was nicht gefchehen kann, nicht aber , was
wirklich gefchiehl. Wir miilTen a!fo weiter
gehen.
157. Der Menlch, der blofs feine eigne
GHickfeligkeit (29) zum Ziele feiner Handkin-
gen fetzt, deflen Maximen alfo alle auf die
Befriedigung feiner Neigungen gehen, heifst
felbstfüchtig; und der Hang dazu, Selbst-
f u cht. {SolipßJJ'imus.)
158. IH der Grund der Selbftfucht Wohl-
wollen %egGn uns felbß; fo heifst fie Ei-
genliebe. {Phila-utia) Ilt er aber Wohl-
gefallen an uns ; fo heifst fie Eigendün-
kel. (^Arrogantia^)
\^cj. Die Eigenliebe (138) wird durch
das practifche Gefetz nicht aufgehoben. Denn
das Wohl (30) fuchen, und das Weh (31) flie-
lien, iß Gefetz der menfchlichen Natur; und
ein Gefetz kann dem andern nicht widerfpre-
chen. Nur wird fie dahin gemälTigt, dafs fic
Itets dem Sittengefetze untergeordnet fejn,
und der Menfch nur in fo fern fein Wohl be-
fördern mufs, als es mit dem practifchen Ge-
fetze übereinftinimt.
160. Die folcher Gefialt durch das prac-
tifche Gefetz gemälTigte Eigenliebe (139) heifst
vernünftige Selbstliebe.
161. Jede Perfon, die durch Vernunft-
gründe unfern Willen beftimmen kann, erregt
59
Achtung für ficli : lo da(s Achtung der Ge-
müthszußand iß , worin wir uns befinden,
wenu wir unfern Willen gegen unfere Neigung
den Gründen des andern unvermeidlich,
alfo mit einer Art von vernünftiger Nöihigung,
(54) aus eignem Antriebe unterwerfe.n.
162. Nun find wir, wenn wir nach dem
prac tiichen Gcfetze handeln , die Perfon , die
unfern Willen gegen unfere Neigungen zum
Handeln beßimmt. Folglich erregen wir als»-
dann unfere eigene Achtung. (i6i)
16^, Bey jeder Achtung , die wir für je«
mand fühlen , werden wir g e d e m ü t h i g t ,
indem wir feine Erhabenheit über uns anzuer-
kennen, gleichfam gezwungen werden. Folg-
lich wird auch unfer Geiß durch das practifche
Gefetz gedemüthigt, in fo fern wir cinfehen ,
wie viel erhabener der Menfch wäre, der fei-
nem Willen blofs nach demfelben beßimmen
gönnte , als der iß, der auch Neigungen zu
Beßimmungsgründen feines Willens machen
piufs.
164. Jede Demüthigung, die wir erlei-
den , thut dem Wohlgefallen an uns Abbruch.
Folglich wird durch die Anerkeniuing des
practifchen Gefetzes zur Richtfchnur der fittli-
chen Handlungen , der Eigendünkel (138) ganz
gehoben : wir können kein Wohlgefallen an
uns feibß haben, bis wir nach diefem Gefetze
handehi.
6o
163. Aber jeder Abbruch, den das Wohl-
gefallen an uns felbft erleidet , erregt ein
fchmerzhaftes Gefühl, Folglich wird , von
der negativen »Seite durch das Bewuftfeyn ,
dafs wir dem practifchen Gefetze genau nach-
leben foHen , ein fch m erzh aft es Gefühl
in uns erregt.
166. In fo fern wir aber cinfehen, dafs
unferc Vernunft allein hinreicht, unfern Wil-
len , nach dem practifchen Gefetze zu beftim-
men, und wir uns folcher Geltalt über uns
felblt erhaben fühlen , erwerben wir unfere
Achtung, und bringt diefe Achtung eine Ver-
mehrung des Wohlgefallens an uns felblt , ein
angenehmes Gefühl in uns hervor.
167. Beyde Gefühle , das der Luft durch
Selbftachtnng, (166) und das der Unluft durch
die Demülhigung, (163) find gänzlich a/7/-/or/,
durch die Betrachtung des practifchen Gcfc-
tzes , gefunden worden. Zufammeh mögen
fie daher das moralifche Gefühl heiflen.
169. Demnach fteht das practifche Gefetz
in Bezug mit unferm Gefühl; und daher kann
das moralifche Gefühl (1^7) die Triebfeder
7A\ moralifchen Handlungen abgeben. Nur
mufs diefe Triebfeder nicht als Befiimmungs-
grund des Willfens gemacht werden, wenn die
dadurch wirklich gewordene Handlung mora-
lilch feyn foll. Denn alsdann würde fie nicht
blofs durch das practifche Gefetz , foiidern
6i.
durch ein Gefühl beftimmt werden, und allen
moralifchen Werth verlieren. Das Gefühl der
Luft kommt als Folge der Handlung nach dem
practifchen Gefetze , ohne ihr Beßimmnngs»
grund zu feyn.
IL
169. Jede Triebfeder des Willens erregt
für die Sache, die dadurch wirklich werden
foll 5 ein In ter ef Te. Folglich wird das mo-
ralifche Gefühl , (167) auch ohne allen Bey-
tritt finniicher Urfachen , ein moralifches
Intereffe für Jiitliche Handlungen in uns
erregen.
170. Sobald wir ein Intereffe (169) für
irgend etwas fühlen , entwerfen wir uns eine
Maxime, wie wir dallelbe wirklich machen
wollen. Da nun aber eine Maxime nur dann
moralifch ift (7?) wenn fie ein allgemeines Ge-
fetz werden kann , alfo dem practifchen Ge-
fetze (46) gemäfs ift; fo mufs die moralifche
Handlung blofs ein moralifches Intereffe {^6^}
für fleh haben,
171. Bey allem dem aber, dafs wir uns
für die fittlichen Handlungen intereffiren, (170)
gefchieht fie dennoch nicht ohne vernünftige
X^Jöthigung. (54) Nun fetzt der Begriff der
Nöthigung jemand voraus, der uns nöthigt,
und dem wir uns unterwerfen. Aber zu
62
der moralifchen Handlung nöthigt uns niemand
anders, als unfere Vernunft, und das aus ihr
cntfprungene Gefetz. Folglich verlangt eine
IVlaximezu ihrer Moralität, Un tertve rf u n g
unter das practifche Gefetz.
172. Dennnach gefchieht eine Handlung
aus Pflicht , (35) wenn fie felbft dem Gefetze
gemäfs , und die Maxime die ihr als ße-
ftimmungsgrund des Willens diente, blofs durch
Unterwerfung unter das Gefetz , (171) ohne
anderweitige Beweggründe entfprungen iß.
173. Weil nun die heilige Handlung (57^
ohne allen , felblt vernünftigen Zwang dem
practifchen Gefetze gemäfs gefchehen ni^ifs,
alfo be7 ihrer Maxime keine Unterwerfung
unter das practifche Gefetz (171) ftatt findet;
fo ßeht die Handlung aus Pflicht zwifchen der
heiligen (5-) und der pflichtmälTIgen Handlung
in der Mitte : fie i(t mehr als die zweyle , weil
die Maxime, wornach fie gefchieht, moralifch
ift; aber wenii^er als die erfie, weil fie eine
Nöthigung vorausfetzt.
174» Die moralifche Handlung, als fol-
che , darf eben fo wenig mit den Neigungen
zufammenftimmen , als fie gänzlich heilig fevn
kaim , indem in beyden Fällen keine vernünf-
tige Nöthigung zu ihrer Wirklichwerdung er-
forderlich wäre. Folglich bedeutet der Aus-
druck: man thue eine moralifche Handlung
g«rne, weder daü eine, noch das andere;
03
fondern blofs , dafs man die Idee der Heilig-
keit (57) entworfen habe, und in feiner Hand-
lung fich ihr , fo viel möglich , zu nähern
fuche.
m.
i^^. Schwärmerei überhaupt heifst
die nach Grundfätztn unternommene Ueber-
fchreitung der Grenzen der menfchlichen Ver-
nunft; und moralifche Schwärmerei
ins Befondere , die nach Grundfatzen unter-
nommene Ueberfchreitung der Grenzen der
practifchen Vernunfi. (§. 587.)
176. Da nun der höchfte Grad der, dem
Mcnfchen erreichbaren Moralität , feiner T u-
gend nähmlich, nur in der Befolgung des
practifchen Gefetzes , alfo in einem Kamp fe
gegen die Neigungen befieht ; fo würde das
Streben nach völliger Erreichung der Idee der
Heiligkeit, moralifche Schwärmerev, (175)
fo wie der Wahn , fchon hienieden fogar in
dem Befitze der Heiligkeit zu feyn , Stolz und
Eigendünkel verrathen ; (178} eine Idee kann
nie erreicht werden.
177. Da nun die Handlung aus Pflicht (55)
vorausfetzt , dafs der Kampf gegen die Nei-
gungen von dem practifchen Gefetze glücklich
beftanden fey ; fo entfpringt lie aus dem Ver-
mögen des, fonfl zur finnlichen Natur (§.216)
^4
gehörigen Menfcheii , fich über den Natnrrne-
chanismus(i 24) liiiiweg fetzen, und fich gleich-
fam in eine intelligibile Natur (94) hinauf-
fchwingen zu können.
i'^.S« Diefs Vermögen (177) marht die
Perfönlichkeit des Menlchen aus ; fo dafs
der Menfch glcichfam als aus zwey Theilen
beziehend , gedacht werden mu fs : aus der
cmpirifchen Perfon, die dem fenfibilen
Naturnnechanismo unterworfen ift, und aus der
Per fönlichkei t, die das Vermögen belitzt,
fich darüber zu erheben.
179. Durch die Perfönlichkeit find wir im
Stande dem practifchen Gefetze nachzuleben.
(178) Aber nur durch diefs Vermögen, ver-
dienen wir unfere Achtung. (1O2) Folglich
verdient die Perfönlichkeit, und nur fie unfere
Achtung.
18c. Sondert man beyde Theile (178)
von einander; fo gehört die Perfon zur finnli-
chen Welt, und ift der Grund zu den Nei-
gungen, die Perfönlichkeit aber zur intelligi-
bilen Welt, und enthält die Möglichkeit dem
practifchen Gefcize nachzuleben. Wäre da-
her die Perfönlichkeit allein exifiirend , fo
würde auch die fitlliche Handlung ohne Kampf
wirklich werden. Folglich ift die Perfönlich-
keit heilig, (5'/) i"nd nujfs dem Menfchen als
heilig , u n V c r i e t z 1 i c ii i'eyn.
18 !•
65
i8i. Da nun jeder Menrdi einen fbichen
Theil enthält; fo mufs uns die Menfchheit
oder der Menfch , ohne Riickficht auf feine
empirifche, individuelle Befchaffenheit betrach-
tet, als heilig, unverletzlich feyn. (i8o)
182. Aber alles, was als heilig gedacht
wird , fetzt voraus , dafs leine Handlungen
blofs durch das practifche Gefetz beftimmt wer-
den. Seine Heiligkeit wird daher verletzt,
wenn man ihn zu Handlung zwingt , die er
nicht mit VVillkühr, (50) daher nicht nach
dem practifchen Gefetze (52) begehen kann :
er wird dadurch entheiligt.
1815. Nun^ aber ift jede moralifche Hand-
lung Zweck an fich, hingegen eine Handlung,
die ich aus Furcht vor Strafe, oder aus Hoif-
nung zur Belohnung thue, nur Mittel zur
Befriedigung der Neigung» Wenn ich daher
jemand entheihge , (i8<2) will ich dafs feine
Handlungen blofs als Mittel , nicht als Zweck
an fich [)etrachtet werden folleii. Da nun die
Menfchheit uns heilig fevn mufs; (iS'-) fo
folgt das Sittenge fetz: betrachte kei-
nen Menfchen als Mittel, fonderu
als Zweck an fich, welches mit andern
Worten fo viel heifst : zwinge keinen Men-
fchen zu Handlungen , die nicht dem practi-
fchen Gefetze gemäfs find.
E
66
ACHTE VORLESUNG.
I.
(Von der Dialeetik )
184. Dialeetik, wilTen wir (§. 87.) iß ei-
ne von der reinen Vernunft angemafste Wif-
fenfchai't von dem Materialen der Wahrheit,
(§. 82) und dem Dinge an fich. (§. 264)
185. In dem Gebrauche der theorelifchen
Vernunft (§. 3S7) war es ganz natürlich, dafs
durch diefe anmafsliche Wiffenfchaft ein Schein
(§. 303) entliehen mufste, der uns ohne Critik
zum Irrthume verleiten könnte , der aber durch
fie verhütet wurde. Dann da die Begriffe und
Grundfätze der theoretifchen Vernunft nur
dann objectiVe Gültigkeit haben, wenn fie fich
auf Anfchauungen beziehen , aber diefe nur
als Erfcheininigen gegeben werden können;
fo enthält eine Lehre von Dingen an fich,
einstheils nur anfchauungslofe Begriffe, an-
derntheils aber wird fie, durch die nnwillkühr-
liche Verwechfelung der Dinge an fich mit den
Erfcheinungen , uns zum Irrthume verleiten.
18^'. In dem Gebrauche der practifchen
Vernunft hingegen , wo der Begriff nicht auf
wirkliche Handlungen, als Erfcheinungen an-
gewandt zu werden braucht p um objcctive
6;
Gültigkeit zu bekommen, (103) ficht es aus,
als wenn gar Dialectik, am wenigften aber
die Aufdeckung des Scheines möglich fey. Wo
Begriffe fchon an und für lieh objective Gültig-
keit erhalten, fobald fie logifch möglich find,
wird fich der material wahre von dem biofs
formal wahren gar nicht unterfcheiden lallen.
187. Allein bej allem dem, dafs practi-
fche Vernunft keine Handlung durch, ihre Be-
griffe und Grundfätze zur Wirklichkeit gebracht
willen will , verlangt fie doch , dafs ihre Grund-
fätze, um Erkenntnifs zu gewähren , an einer
Willensbeftimmung ein Object finden foUen,
das durch lie feine Möglichkeit erhält; (124. 6.^)
und zwar ift das Object des practifchen Ge-
felzes die Willensbellimmung zum Guten als
Erfcheinuiig: (7^) fo dafs die Willensbeftim-
mung gut heifst, die dem Gefetze gemäfs, und
aus ihr entfprungen ift.
188. Nun willen wir, (§. 321) dafs die
Vernunft ftetfi zu jedem, in der Erfahrung be-
dingt gegebnen Gegenftande das Unbedingte
fucht , und nicht eher befriedigt ift, als bis fie
es gefunden hat. Diefen unbedingten Gegen-
Itand zu finden, ift ihr nun frejlich unmög-
lich, indem alles in der Erfahrung gegebne
bedingt ift, und die Vernunft nicht über die
Erfahrung hinaus kann. Aber , da fie dennoch
weifs, was fie facht, entwirft fie fich von dem
Gefuchten eine Idee , hält diefe für etwas wirk-
E 3
6s
liches, litr eswas mehr als eui Ziel, wohin fie
Areben , das fie aber nie erreichen foU , und
täufcht fich felbft. Diefs war der Urfprung der
Dialectik in dem Gebrauche der theorctilchen
Vernunft; dieis ilt er auch hier.
189. I^er Gegcnfiand des practifchen Ge-
feites iß das Gute. Dieles aber kann, in der
Erfahrung nur bedingt gegeben werden : es
iftltetsgut zu etwas. Nun iteigt die Vernunft
vom bedingt Guten zu bedingt Guten immer
weiter aufwärts , entwirft lieh eine Idee vom
höchsten, unbedingten Guten, hält
die Idee für erreichbar, und fchafft fich auch
hier ihre Dialectik.
190. So weit verirrt lieh die reine prac-
tifche Vernunft nun freylich nicht, dafs fie ans
dem höchfien Gute einen Beftimmungsgrund
des Willens zu moralifchen Handlungen mach-
te. Sie weifs recht wohl , dafs jeder Beflim-
mungsgrund des Willens , der verfchieden von
der Vernunft ift, er beftehe übrigens worin er
wolle, nur Heteronomie der Willkühr, (59)
und daher nie Sittlichkeit (52) hervorbringe.
191. Aber da doch das bedingt Gute durch
den zum Theil moralifchen Willen erreicht
wird, (71^) wenn es ihiri auch nicht 2um Be-
weggrund dient ; fo glaubt die Vernunft, dafs ein
höchftes Gut erreicht werden könne , weini der
Wille vollkommen nach dem practifchen Gefe-
tze befiiramt wird. Die Erreichung des höchfien
6fif
Guts iß der Vernunft unausbleibliche Folge
der moralifchen Willensbeltimmung , fo wie
das bedingte Gute wirklich nur durch den zum
Theil moraliichenWillen erreicht werden kaim.
n.
( Das höchfie Gut. )
(Theüs)
192. Hat die Vernunft nun einmahl die
ixiee des höchften Guts gefafst; fo willfie auch
\v'iflen, worin es beftehe. Nun hat der Begriff
des höchsten ßets zwey Bedeutungen: es
kann entweder der erstp Theil des Gan-
zen, oder das gröfste Ganze der Art heif-
fen. Das höchste am Thurme ift feine Spitze 5
ift das Erste; der höchfte Thurm hingegen
i|t der gröfste Thurm.
193. In der erften Bedeutung wird dei.
Begriff des höchlten Guts nicht den ganzen
Begriff des Guts erfchöpfen, würde nur einen
Theil von demfelben fejn ; in der zwejtea
Bedeutung hingegen würde es zwar das Ganze
umfalfen , aber ohne Hinficht auf das , was
diefem Ganzen als Bedingung dient, was in
ihm das erfte ift,
194. Soll daher das höchßc Gut in allem
Betracht das höchfte fejn ; fo mufs der Begriff
deffelben nicht nur die erfte Bedingung enthal-
ten . wodurch etwas überhaupt gut iit, fon-
E 3
7»
dem auch den gröfstmöpfliclißen Erfolg diefer
Bedingung, das gröfste Gut nahmlich.
195. Nun ilt die Tugend, als die Fertig-
keit unfern Willen nach dern practifchen Ge-
fetze zu befiimmen , gewils die erfte Bedingung
unferer Würde zur Glückfeligktit. (76) Aber
da auch Glückfeligkeit felbft ein Gut ift, in-
dem es dem Menfchen unmöglich fällt fie nicht
zu wollen; fo liegt in dem Begriffe des höch-
ften Guts auch der Begriff der gröfsten Glück-
feligkeit. Folglich helteht der Begriff des
höchfien Guts aus zwey Theilen : aus dem
Begriffe der Tugend , und dem der Glückfelig-
keit.
196. Zwey Begriffe, die zufammen einen
Begriff ausmachen , lind entweder anaivtifch
nach dem iSatze der Identität , oder fynthetifch,
nach dem Satze der Caufalität mit einander
verbunden. D rSatz: ein Dreyeck ifi eine Fi-
gur in drey Linien eingelchloffen , enthält den
Begriff Figur, und den der Einlchlielfung als
Beftandtheile , die aber nach dem Satze der
Jdentität mit einander verbunden find; denn
jede Figur ilt nichts anders als ein eingefchlof-
fener Kaum. Die genetifche Erklärung des
Cirkels hingegen , verbindet ihre Beftandthei-
le nach dem Satze der Caufalität : wenn ei-
ne gerade Linie fich um ein,en fefien Punct be-
wegt : fo bcfchreibt der andere Punct der Li-
^ie, einen Kreis.
71
197« Trailer find bej der Verbindung der
Begriffe Tugend und Glückfeligkeit um den
Begriff des liöchften Guts heraus zu bekom-
men , zwey Fälle denkbar : entweder Tugend
und Glückfeligkeit find analjtifch , oder fvn-
thetifch mit einander verbunden.
198. Sollen fie identifch fejn ; fo ift diefs
abermahls auf zweyerley Weife denkbar : ent-
weder man fetzt den Begriff der Tugend fefi ,
analvfirtaus ihm den Begriff der Glückfeligkeit,
und fagt, mit der Stoa : dem Tugendhaften
werde das höchfte Gut fchon durch feine Tu-
gend zu Theil, weil der Begriff der Glückfe-
ligkeit , als Befiandtheil des höchfien Guts ,
gar nicht von dem Begriffe der Tugend ge-
trennt werden könne ; oder man fetzt den
Begriff der Glückfeligkeit zuerfi fcft, analyfirt
aus ihm den Begriff der Tugend, und fagt mit
Epicur, der Glückliche fej^ Befitzer des höch-
Iten Guts fchon durch feine Glückfeligkeit,
weil in (liefern Befitze die Tugend befiehe.
199. Dafs bejde Begriffe nicht eins,
nicht analjtifch mit einander verbunden fejn
können, erhellet aus dem ganzen Verlauf un-
serer Betrachtunjjen. Tusrend befieht in der
Willensbeltimmung nach dem practifchen Ge-
fetze, alfo mit Bekämpfung der Neigungen;
und Glückfeligkeit in Befriedigung derfelben.
Folglich thun fie fich wechfelfeitig Abbruch ,
■ E 4-
und köniieii daher gewiis nicht als ideiilircU
betrachtet werden.
2üO. Wenn denuiach Tugend und Gli'tck-
feligkeit dennoch in dem Begriffe des höchfien
Guts verbunden feyn müden; (193) fo kann
dicfe Verbindung nur nach dem
Ge fetze derCaufalität statt finden;
(196) und zwar \\\ entweder die Maxime der
Tugend der Grund zu unferrn HofTcn nach
Glückfeligkeit : wir erwarten Glückfeligkeit ,
\v e n n wnr tugendhaft find ; oder diefes Hof-
fen ift der Grund zur Maxime der Tugend -,
wir wollen tugendhaft ^^yvi , we il wir Glück-
feligkeit zu erlangen hoffen. Einer von bey^
iX^w Fällen mufs richtig fejn , wofern das liöch-
ile Gut, als der Gegenftand des practifchen
Gefetzes , der ihm Objectivität verfchafft,
wirklich das höchste Gut, (04) und jenes
Gefetz nicht objectlos feyn foU. Diefs macht
die T h e s i s der Antinomie der practifcheu
Vepiunft aus,
«r,
(A n t i t h c s i s.)
SOI. Nun aber geräth bej dicfer ßehaup-
tung die Vernunft mit fich felbft in Streit, und
fie glaubt im Stande zu feyn zeigen zu köi^-
uen, daf5 v/edcr Tugend nothwendige Urfache
n
der Glückfeligkeit , noch diele iiothwendige
Urfache der Tugend fej, und daher bey-
deBegriffe nicht, nach dem Satze
der Ca u fall tat, in dem Begriffe des
li ochsten Guts verbunden werden
können. Diefs ilt die ^Antithesis der
Antinomie der practifchen Vernunft.
202. Diefe AntithePis glaubt fie folgender
Geßalt erweifen zu können. Denn follte Tu-
gend und Glückfeligkeit, nach dem Gefetze
der Caufalität, fo verbunden fejn , dafs wir
tugendhaft feyn wollen, weil wir Glückle-
ligkeit zu erlangen hoffen ; fo hätte das prac-
tifche Gefetz an der Glückfeligkeit fich einen
Zweck gefetzt; es hätte eine Materie, (23)
die den Willen beltimnit , und wäre eben da-
durch kein practifches Gefetz. (13) Sollte.
von der andern Seite, die Caufalität zwifcheu
Tugend und Glückfeligkeit darin beßehen ,
dafs wir Glückfeligkeit zu erlangen hoffen,
wenn wir tugendhaft find; fo wäre freilich
die Glückfeligkeit kein Beltimmungsgrund des
moralifchgn Willens , und der Wille bliebe
auch noch immer moralifch, wenn auch der
Zweck, die Glückfeligkeit nähmlich nicht er-
leicht würde. ^^\m erfordert die Erreichung
des Zweckes aufser der moralifche]i Mög-
lichkeit, (71) noch überdiefs die phjlifche;
(69) und wenn diefe fehlt, wird der Zweck
wirklich nipht erreicht. Folglich braucht und
E5
74
kann die Glückfeligkeit durch die tngendhaf»
te Willensbeftimmung allein , nicht wirklich
werden , und iß daher keine nothwendige
Folge derfelben.
203. Alfo nochmahls ! Tugend und Gliick-
feligkcit mülTen in dem Begriffe des höcliften
Guts mit einander verbunden fevn. (193) Sie
können nicht als identifch betrachtet werden,
da fie einander wechfelfeitig Abbruch thun.
(199) Daher müfste man den einen Begriff
als die Folge des andern, und fie ftlbft als
nach dem Gefetze der Caufalitat, in dem Be-
griffe des höchlten Guts verbunden anfehen.
c
Aber auch dafs fie in keiner Caufalverbindung
liehen können, beweifet die Vernunft, (^o^)
Folglich ilt lie hier ebenfalls mit fich felblt im
Streite.
NEIJNTE VORLESUNG.
I.
(AuflÖfung der Antinomie.)
204. Um die Auflöfung diefer practifchen
Antinomie zu finden ; fo hat die Antithefis
allerdings in der Behauptung recht, dafs Gliick-
feligkeit nicht Grund der Tugend fevn,- und
die Caufalverbindung unter ihnen nicht lieiffen
könne: weil wir Glückfeligkeit zu erlange'h
1^
hoffen , find wir tugendhaft. Denn in keinem
Falle ift es möglich , dafs eine Beflimmung
des AVillens, die eine Materie hat, je eine tu-
gendhafte Willensbeßimmnng abgebe»
'J05. Auch ift für inifere Sinnenwelt, in
der die Habwerdung der Glückfeligkeit nie von
dermoralifchen , fondern ftets phjfifchen Mög-
lichkeit abhängt , Glückfeligkeit nicht noth-
wendige Folo;e der Tugend : der Tugendhafte
braucht nicht immer glücklich zu feyn.
206. Da aber auch fchon hier der Tugend-
hijfte doch glücklich werden kann, wenn er
nähmlich obendrein das phyfifche Vermögen
belitzt , die Zwecke feiner tugendhaften
Maximen ins Werk zu fetzen; fo verfchafft
uns diele Möglichkeit einen Ausweg, um die
Thefis zu rechtfertigen. Denn nun enthält es
keinen Widerfpruch Glückfeligkeit die Tugend
als Folge begleiten zu fehen; und daher kön-^
neu wir die N o t h w e n d i ? k e i t diefer Fol-
ge in einer Welt annehmen , deren Einrichtung
^o befchaffen ilt, dafs dasphyllfche Vermögen
auch ftets dem zu Theil wird, der feinen WiU
Jen nach dem practifchen Gefetze beltimmt?
wer in ihr das letzte tliut , hat auch , unter
diefer Bedingung, das Vermögen feine tugend-
haften Endzwecke erfüllt, und fich in dem
Belitze der Glückfeligkeit zu fehen,
'2Q<^. Das practifche Gefetz, an und für
fich, verlangt fchon, dafs wir Uj'.s nicht als
7^
blofs zur Sinnenwelt gehöi-ig , fonflern als ei-
lien Tlieil aus einer intelligibileu Welt be-
trachten follen. (i/S) In dererften, kann das
pruclifclie Cefetz nie als^ollftändige Urfache
zur Willensbeliimmung gelten. Daher ilt auch
der Zweck dieles Willens , das höchfte Gut
iiähmlich zu erreichen, und Glückfeligkeit als
nothwendige Begleiterinn der Tugend zu fe-
ilen, nicht möglich. Wohl aber läfsteslich in ei-
ner intelligibileu Welt, in der alles nach Ver-
iumftgefetzen beltimnnt wird, erwarten, dafs
Glückfeligkeit A'-erhältnifsmäfsig das Erbtheil
der Tugend feyn , und das höchlie Gut erlangt
werde. Eine folche Ehu'ichtung verlangt die
Vernunft; und daher mufs auch die Welt,
die nach Vernunft eingerichtet worden, die
intelligibile Welt nähmlich , dicfem Verlangen
Genüge leißen,
208. Auch hienieden iß fclion eine Art
von Glückfeligkeit mit der Nachlebung des
practifchen Gefetzes , als nothwendige Folge,
iiets begleitet. Denn diefe Nachlebung bringt
das Bcwufstfeyn hervor , dafs wir die Kraft
befitzen unfere Neigungen zu bekämpfen ; und
das Bewufstfeyn einer Kraft gewährt ftets
Selbstzufriedenheit.
209. Allein aufser dafs diefe Selbllzufric
denheit gröfstentheils nur negativ i/t, und
uns dadurch noch keine Glückfeligkeit im po-
huvcn V'erli;^ude gereicht wird, dafi> wir wi,f-
fert, wir hängen von unfern Neigungen nicht
ab; gedeihet diele Selbftzufriedenheit (2o,'{)
feiten oder nie zur S elbs tgeniigfa m ke i t,
oder dem Bewufstfejn der gänzliclien Un-
abhängigkeit von (.]en Neigungen. ?vlchr oder
wenio-erfind wirdiefen doch liets unterworicu,
und 8;eniefsen daher auch diefe GUickfehgkcit
nicht rein.
210. Betrachten wir nun diefe Auflöfung
der Antinomie der practifchen Vernunft; fo
ergibt fich das Refuhat, dafs Tugend und Ghick-
fehgkeit nach dem Gefelze der Caufahtät mit
einander verbunden find, um den BeerifP des
höchßen Guts zu bilden. Tugend ift nähm-
lich das erste, was zur Erreichung des höch-
Iten Guts erfordert wird , iß deflen condlti»
ßne qua non; und dann, wenn diefe Bedin-
gung erfüllt worden, kann das gröfste Gut,
Glückfeligkelt nähmlich , folgen. Zwar nicht
hienieden , in diefer Sinnenwelt, doch aber in
einer intelligibilen Welt, von der derMenfch,
durch die Willkühr feinen Willen nach den
practifchen Gefelze zu beftimmen, fchon einen
Theil, in feiner Perfönlichkeit , (178) aus-
maclit.
II.
(Von den Polttilaten der practifchen Vernunft.)
211. In der Critik der reinen Vernunfc
(§.' 21g. fcq.) haben wir (^cn Begriff Poßulat ,
78
nach der Art der Geometer dadurch feftge fetzt,
dafs es die Möglichkeit enthält, wodurch wir
eine Anfchaiumg von irgend einem Gegen-
fiande bekommen können. Daraus folgte,
dafs die Poftulate nicht erweislich wären.
2 12. Jeder Satz nun, der theoretifch
nicht erweislich ilt , aber als Bedingung der
Möglichkeit eines d priori gefundenen practi-
fchen Gefetzes angenommen werden mufs ,
heifse ein practifches Postulat.
213. Nun wilTen wir: erftlich , dafs nur
durch völlige A n g e m e f f e n h e i t des
Willens zum practifchen Gesetze, das höclifte
Gut befördert werden könne ; (.i \ o) und zwej-
tens, dafs die Beförderung des höchlien Guts
das nothwendige Object des durch das practi-
iche Gefetz beltimmten Willens fcy. (188.75)
214. Soll daher das Object felbfi möglich
feyn , foU das höchfte Gut wirklich befördert
werden können; fo mufs die Bedingung, un-
ter der allein es wirklich befördert werden
kann , völlige Angemeffenheit des Willens
zum practifchen Gefetzc nähmhch , (2 13) eben-
falls möglich feyn.
215. Aber völlige AngemefTenheit des
Willens zum practifchen Gefetze , ohne Kampf
gegen die Neigungen , ift Heiligkeit, (57) die
keinem Menfchen , er mag fo lange leben,
als er wolle, zu Theil werden kann, weil er
bienieden ftets unter den Bedingungen der Sin-
79
nenwelt Iteht, und leinen Neigungen und Lei-
denl'chaften unterworfen ift.
2 16. Der Begriff der Heiligkeit ift dem-
nach , wie wir auch fchon oben (57) gefagt,
eine Idee; aber eine practifche Idee, zu der
wir uns nicht nur, wie bey den theoretifchen
Ideen , zur Vollendung unferer Erkenntnifs ,
nähern wollen, londern nähern m ü f s e n ,
damit fie wirklich erreicht, und der Befehl
der Vernunft erfüllt werden könne.
217. Nun fetzt aber die Erreichung einer
Idee einen Fortfehritt ins Unendliche voraus.
Folglich wird auch die Erreichung der Idee
der Heiligkeit, oder der völligen Angemeflen-
heit des Willens zum practifchen Geletze, und
der daraus entfpringenden Erreichung des höch-
fien Guts , nur durch einen unendlichen Fort-
fchritt wirklich werden können,
218. Hörte aber unfere' Exißenz , nicht
nur mit diefem Leben, fondern irgendwo auf;
lo wäre die Dauer des menfchlichen Fort-
fchritts endlich , und die wirkliche Erreichuno-
des höchften Guts unmöglich. Folglich mufs
unfere Exiftenz, auch jenfeits des Grabes , ins
Unendliche fortdauern, mufs der Menfch
unsterblich f e j n.
219. Die Unfterblichkeit des Menfchen
kann die Vernunft, in ihrem theoretifchen Ge-
brauche , nicht erweifen. Dazu müfste lle das
unbedingte Subject (§. 339) kennen, um dar-
So
aus feine Ünverweslichkeit , als einfache Siib-
Itanz, folgern zu können: eine Sache, di*
wie in der Critik der reinen Vernunft (362 feq.)
gezeigt worden , auf einen Paralogismus führt.
Von der Vernunft in ihrem praclifchen Ge-
brauche hingegen , wird die Unfierbhchkeit
als Bedingung der Möglichkeit ihrer Sätze
vorausgefetzt. (218) Folglich ilt Unfterblich-
keit ein PoRulat (212) der practifchen Ver*
nunft.
220. Diefes Pofiulat entdeckten wir da-
durch, dafs der eine Beftandtheil des höchlten
Guts, die Angemeflenhcit des Willens nahm-
lieh zum practifchen Gefetze , (213) in diefem^
und jedem endlichen Leben nicht denkbar ift.
(217) Aber das höchfte Gut enthält noch ei-
nen Beftandtheil ; und zwar den der Glückfe-
ligkeit nach Maafsgabe der Sittlichkeit. (210)
Lafst uns fehen, vielleicht bedarf diefer Be-
ftandtheil auch eines Poliulats als Bedingung
feiner Möglichkeit.
iir.
221. Sollen wir GliickleÜgkeit crreicheitj,
foll uns keiner unferer Wiinfche fehl fchlagen^
(^9) fo mufs die Natur der begehrten Dinge
mit unfern Ablichten in Einftimmune fevn.
Denn wenn die Natur der Dinge ihnen zuwi*
o
der ift , fo wird das inniglic Wiinfchen fie
nicht
8i
riicht ändern , werden unfere Abfichten fehl
fchlagen müiren.
2-2 2. Dürtte der moralifche Wille durch
Neigungen beftimmt , alfo das Objecl diefes
Willens, die Gliickfeligkeit, durch empirifche
Eeftimmungsgründe des Willens erreicht wer-
den; fo könnte es vielleicht fejn , dafs wir
durch einen hinlänglichen Grad von Klugheit
und Weltkenntnifs aus der Erfahrung lernten,
welche Abfichten erreichbar find. Setzen wir
dann nur diefe zum Ziele unferer Wünfche,
fo braucht keiner derfelben fehl zu fchlagen,
können wir glückfelig fejn.
223. Aber das höchfte Gut verlangt, dafs
der Willen blofs durch das practifche Gefetz,
ohne Hinficht auf empirifche Gründe, beftimmt
werde. Daher kann die, durch Weltkennt-
nifs erlangte Einficht in die erreichbaren Ab-
lichten , nichts zur Erlangung des höchßea
Guts bejtragen. Auch können wir, von der
andern Seite, die Natur der Dinge nicht zu
unferer Abficht bequemen. Folglich fcheint
es, wo nicht unmöglich, doch nicht nothwen-
dig , dafs wir je des höchlien Guts theilhaftig
Vv^erdeii müflfen. Beftimmen wir auch noch
fo fehr unlern Willen durch das practifche Ge-
fetz; die Gliickfeligkeit braucht, fo fcheint es,
nicht delTen Folge zft feyn.
224. Und doch gebiethet uns die practi-
fche Vernunft: du follst das höchlle Gut
F
82
befördern , und die grofsle Glückfeligkeit er-
reichen. (191) Könnten wir diefs nicht, Ib
liefse fich auch das Sollen nicht befehlen : die
Vernunft kann uns keinen Befehl auflegen,
der über die Möglichkeit der Dinge hinaus-
reicht.
225. Der Befehl der Vernunft (224) fetzt
demnach voraus , dafs diefer Zufammenhang
Zwilchen Glückfeligkeit und Moralität möglich
fej, und der Menfch, durch die letzte, dieerfte
erreichen könne. Nun aber ift keine Wirkung
ohne eine fie hervorbringende Urfache denk-
bar. Folglich mufs es ein Wefen geben , das
die Urfache zu diefem Zufammenhange ent.
hält, oder das die — freylich intelligibile — -
Natur fo eingerichtet habe, dafs Glückfelig-
keit ßets Folge der Moralität fej.
226. Diefes Wefen (225) mufs aber nicht
nur den Grund zur Uebereinßimmung der
Glückfeligkeit mit der Moralität enthalten;
fondern es mufs auch , als oberfte , u n b e-
dingte Urfache , die Frage beantworten,
warum die intelligibile Natur fo eingerichtet
fej, dafs in ihr Glückfeligkeit ftets Folge der
Moralität ilt. Daher kann diefes Wefen die
Glückfeligkeit nicht blofsmit dem practifchen
Gefetze , aber nach empirifehen Gründen in
Uebereinßimmung gebracht haben; denn diefs
gäbe keine Nothwendigkeit. Es mufs viel-
mehr diefe Einrichtung dem practifchen Ge-
8.3
fetze gemtifs getroffen haben; denn diefs
Gefetz allein ift nothwendiger Beftimmungs-
grund des Willens. Folglich ift die Beförde-
rung des höchften Guts nur unter der Voraus-
fetzunp- möglich, dafs'die oberfie Urfache der
intelligibilen Natureinrichtung, dem practifchen
Gefetze gemäfs , mit vernünftiger Caufalität
wirkt, (y^)
227. Aber eine Wirkung nach einer ver-
nünftigen Caufilität, heifsteine Wirkung nach
Gefetzen ; und dasjenige Wefen , das nach
Gefetzen wirkt, eine mit Willen begabte
Intelligenz. Folglich ift das höchlte Gut
zu befördern nur unter der Vorausfetzung des
Dafejns eines Wefens möglich, das mit Ver-
nunft (2203 und Willen (^'-^7) die intelli-
gibile ^atur, und ihren Typus, die fenfibile
Natur, (147) eingerichtet hat: nur möglich
unter der Vorausfetzung v o m D afey n Got-
tes.
227. Aber auch das Dafejn Gottes, als
des Ideals der reinen Vernunft, war der Spe-
culatidn nicht möglich zu erweifen ; (§. 526.
feq.) die practifche Vernunft hingegen fetzte
es als Bedingung der Möglichkeit einer ihrer
Sätze feft. Folglich ift auch das DaCeyn Got-
tes ein Poftulat der practifchen Vernunft. C2 12)
F
84
ZEHNTE VORLESUNG.
L
(Folgen.)
229. Das höchfie Gut zu befördern, (194)
iß Gefetz der Vernunft, (191) daher Pflicht ,
(53) f^^^ ""s* Aber diefe Pflicht zu erfüllen
ift nur unter der Voraubfetzung vom Dafeyn
Gottes {Z'ij^ möglich. Folglich ift das Dafeyn
Gottes moralifch nothwendig zur ErfüUun!?
unferer Pflicht.
230. Das höchfie Gut mufs befördert
werden; dann fo befiehlt es unfere Vernunft;
und das einzige Mittel zur möglichen Nachle-
bung diefes Vernunftbefehls ift das Dafejn
Gottes. (229) Folglich muffen wir das Da-
feyn Gottes als vernünftige Wefen glauben ,
(§. 708) und der Glaube an GoU ift ein rei-
ner V e r n u n f t g 1 a u b e n.
231. Religion heifst die practifche Er-
kenntnifs unferer Pflichten als göttlicher Ge-
bothe.
232. Nun bekommen wir durch das prac-
tifche Gefetz den Begriff des höchften Guts ,
und mit diefem den Begriff unferer Pflicht,
als etwas, das uns zwar die Vernunft befiehlt,
aber <\i\.s fie uns gar nicht befehlen könnte.
85
wofern Gott es nicht inög]lcli machte zu er-
füllen. Daher verfchafFt uns das practifche Ge-
fetz eine practifche Erkenntnifs unferer Pflich-
ten als göttlicher Gebothe , und verhüft uns
folglich zur Religion. (231)
233. Daraus folgt , dafs die Moral gar
nicht lehre j wie wir uns glücklich machen,
fondern wie wir der Glückfeligkeit w ü r dig
werden follen. Denn der Endzweck
der Moral ift die Mittel anzugeben, wie
das höchfte Gut erreicht werden könne. Nun
macht die Glückfeligkeit nur Einen Beltand-
theil des höcliften Guts aus , delTen wir nur
dann theilhaftig werden follen , wenn wir die
Bedingung dazu , die Befolgung des practifchen
Gefetzes nähmlich, erfüllen. Die Erfüllung
der Bedingung aber, im moralifchen V^erftan-
de, macht, dafs wir des Erfolges würdig wer-
den. Folglich geht die Moralität einer Hand-
lung, die ganze Moral felblt, nur auf die Wür-
de zur Glückfeligkeit, nicht auf die Erlangung
derfelben.
234. Nur dann erfi: , wenn wir diefe Be-
dingung erfüllen, wenn wir nach dem practi-
fchen Gefetze handeln , fteht uns frej zu h o f-
fen, dafs uns Glückfeligkeit werde zu Theil
werden. Alfo nur diefes anzugeben , nicht
die Mittel zur Glückfeligkeit felbli , ift das
Gefchäft der Moral.
F3
86
^35» I^^Jier kann man auch nicht lagen:
der letzte Zweck Gottes in der Schö-
pfung ky die Glückfeligkeit der vernünftigen
Wefeii. Denn Weisheit, im practifchen
Vecßande, heifst die Fertigkeit feinen Willen
dem höchßen Gute anzumelTen. Nun iß,
Jelbß bej einem eingefchränkt weifen Wefen ,
das dem practifchen Gefetz gemäfs handeln
will, die Erreichung der Glückfeligkeit, nur
untergeordneter Zweck ("einer Handlung : (2;34)
der höhere , letzte Zweck mufs Sittlichkeit
feyn. Folglich iß von dem A 11 er weif e-
sten, delTen Wille heilig (71) und daher stets
dem höchßen Gute angemelTen iß, gewifs nur
Sittlichkeit der letzte Zweck feiner Handlung,
der Schöpfung nähmlich.
wj^6. Diefer Satz, dafs der letzte Zweck
der Schöpfung die Beförderung der Sittlich-
keit der vernünftigen Wefen fej , (236) läfst
ßch auch folgen deiniafsen ausdrücken : der
letzte Zweck der Schöpfung iß die Ehre
Gottes. Denn in der That kann uns nichts
.10 fehr zur Achtung und Ehrfurcht gege« jenes
unbegreifliche Wefen erheben , als der Gedan-
ke: diefes Wefen iß es, das durch feine wei-
fen Einrichtungen es fo veranßaltet hat, dafs
Glückfeligkeit nur dem zu Theil wird, der
feinen Willen zur höchßen Moralität empor-
fchwinjrt.
237. Zum Schlufse bemerken wir, dafs
man fchon zu allen Zeiten die Richtigkeit un-
ferer Behauptungen anerkannt, wie wohl nicht
auf ein Princip zurückgeführt habe. Man leg-
te nähmlich Gott die Attribute der Macht und
der WilTenfchaft , der Gegenwart, der Güte
11. f. w. gemeinfchaftlich mit dem Menfchen
bej ; nur dafs man fie in dem liöchften Wefcn
durch die Partikel all zu unbegränzten Eigen-
fchaften erhöhete: Gott ift allmächtig, all-
gütig, u. f. w. Bey drey Eigenfchaften aber
braucht man diefe Erhöhung gar nicht ; fie
find blofs des göttlichen Wefens Attribute.
Gott allein iß heilig, fei ig, weife. Er
allein ift der heilige Gefetzgeber, der
feiige Vergelter, und der w e i f e Rich-
ter dier Handlungen, die in feiner Welt vor-
gehen.
II.
'2;^S' Um die Wichtigkeit der bisher vor-
getragenen Sätze defto belTer einzufehen , wol-
len wir noch folgendes bemerken.
239. Wir haben fchon oben («69) gezeigt,
dafs das InterelTc für eine Sache durch die
Triebfeder entftehe , die unfern Willen zur
Wirklichmachung diefer Sache beltimmt. Nun
ilt es das Gefchäft der Vernunft (§. 321) ftets
zu dem gegebnen Beilingten, das Unbedingte
F 4
88
zu fuchen. Diefes Unbedingte aber iß dann
auch das oberfte Princip, unter welches jeder
befoudere Fall fubfumirt werden kann.
24.0. Suchen wir daher ein folches Prin-
cip, und wollen eins wirklich finden; fo
ift die Vernunft die Triebfeder, die unfern
Willen hierzu bcMimmt. Daher haben wir
ein InterelTe (239) fiir die Wirklichwerdnng
der Principe d priori.
24 . Diefs InterelTe des vernünftigen Men-
fchen Für Principe d priori, geht, im theore-
tifchen Gebrauche feiner Vernunft, auf Er-
kenntnifs der Objecte, und im practifchen Ge-
hrauche derfelben , auf die Erkenntnifs der
Beftimmungsgriinde des Willens. Denn zu
diefem Behuf fuchen wir die Fnnc'ipe d priori.
242. Von zwejen oder mehreren durch
die Vernunft zu einem Ganzen verbundenen
Begriffen, hat der den Vorzug oder das
Primat in t h e o r e t i f c h e r B e d c vi t u n g ,
der den Grund der übrigen enthält. Delshalb
fagten wir auch, Sittlichkeit habe vor Glück-
feligkeit den Vorzug, weil üe den Grund zur
Glückfeligkcit abgibt.
'^43. In practifcher Bedeutung
hingegen, führt der Begriff das Primat,
delTen InterelTe das der übrigen Begriffe unter-
geordnet ift. (239) Denn wir werden gewifs
dem BegrifT den Vorzug geben, der uns mehr
interefsirt.
89
244- Wäre practlfche Vernunft nicht be-
rechtigt weiter zu gehen , als die theoretifche,
könnte auch lie nichts über Dinge entfcheiden,
über die ihr jene keine AuffchUilTc gibt; fo
würde fie nur Folge der Speculation feyn,
xuid diefe ihren Beftimmungsgrund enthalten.
Diefpeculative Vernunft würde daher auch das
Primat fiihren. (242)
245. Aber practlfche Vernunft gibt uns,
durch ihre Poftulote. (50. '2i 1. feq.) Anffchlufs
über dvey Fragen, die die theoretifche Ver-
uunft als unauHöfsIich erkannte. Als diefe
über Unlterbli.^hkeit urtheilen wollte, war fie
gezwungen das Object der Unßerblichkeittheo-
retifch zu erkennen , und verfiel , bey einem
Verfuche , den fie wagte, in Paralogismcn.
«•3Ö1)
246. Als die fpeculative Vernunft die
trar.scendentale Willkühr des Menfchen er-
gründen wollte, ßiefs fie auf Antinomien,
(§. ^74) aus denen die Bejahung der Willkühr
luir problematifch erfolgte. (§. 473.) Endlich
gerieth die Speculation bey Beantwortiuigder
Frage über das Dafeyn des Ideals der reinen
Vernunft (5. 323) ebenfalls auf Paralogismen.
247. Alle diefe Fragen beantwortet die
practifche Vernunft : fie fetzt die Willkühr des
Menfchen (30) feine Unfterblichkeit (.iS)und
das Dafejn Gottes (227) als nothwendige Be»
dinguns: zur Möglichkeit der Moralität vor*
F5
9«
aus. Sie gehtalfo, unabhängig von der theo-
retifchen Vernunft, weiter als fie, beantwor-
tet Fragen, die den Grund zur Wirklichwer-
dung des moralifchen Willens enthalten , die
daher ein unmittelbares InterelTe , (2,39) für
uns haben ; und daher führt fie das Primat
in practifcher Bedeutung. (243)
248- Begriffe , die für die Speculation
transcendent (§«302) bleiben mufsten , find nun
p r a c t i f c h immanent geworden. Denn
aucii ohne die Objecto fo zu erkennen, wie
es die theoretifche Vernunft verlangt, wenn
fie ihr immanent werden follen, ohne diefen
Begriffen Anfchauungen unterlegen zu kön-
nen; find wir do'jh vom Dafcjn diefer Objecto
überzeugt , und willen , dafs es keine erfoii-
rene Begriffe find.
249. Nun glaube man nicht , dafs wir
nun von diefen Begriffen einen theoretifchen
Gebrauch machen, und, entweder Erfahrun-
gen in der Sinnen weit, oder überfinnliche An-
schauungen von den , unter diefen Begriffen
gedachten Objecten, erlangen können. Vor
dem Verfall in Superstition, wohin uns
der erfte Wahn leiten würde, Ibwohl , als vor
dem Hange zum Fanatismus, zu dem uns
der zweyle Irrthum geneigt macht, warnt uns
die Speculation. Sie zeigt, dafs wir die Ob-
jecto der , theoretifch transcendenten Ideen
nicht anfchauen , noch von überfinnlichen Diu-
9»
gen eine theorelifche Erkenntnifs haben kön-
nen.
EILFTE VORLESUNG.
III.
250. Durch (liefe Ausdehnung des Ge-
biedis der practifchen Vernunft über das der
theoietifchen , (247) wird felbft die theoreti-
fche Vernunft erweitert. Die Ideen der Will-
kühr , der Unfierblichkeit, und des Dafeyns
Gottes lagen ihr zu beantworten vor; aber
nur muthmafslich konnte ihre Antwort ausfal-
len, und erfi von der practifchen Vernunft er-
hielt lie völlige Gewifsheit hierüber.
25!. Sie wird alfo erweitert, ohne doch
fich anmafsen zu dürfen , diefe Begriffe zu
rerfinnlichen , oder ihnen eine übetfinnliche
Anfchauung zum Grunde legen zu wollen. Sie
erhielt die Erweiterung durch die practifche
Vernunft; aber diefe beweifet nur die Wirk-
lichkeit der Regriffe , nicht die theoretifche
Objeclivität deifelben,
'2.^1. Die practifchen Ideen der Willkühr,
u. f. w. haben Realität, weil 'i\G nach Catego-
rien gedacht werden. So liegt der Idee
der ünfterblichkeit die Categorie Subiianz ,
($. .361) der der VVillkühr, die Categorie Cau-
falität, (§. 2)9'5) "^"^ ^^^ y:>\\\ Dafeyn Gottes,
92
flic Categorie Gemeinfchaft (5. 513) zu Gnm*
de. Allein , da einstheils die Categorien nur
dann theoretifclie Erkenntnifs gewähren, wenn
ihnen eine Anfchauung entfpricht, (§. 139)
anderntheils aber die practifche Verrunft kei-
ne Anfchauungen liefern kann , noch zu liefern
braucht, um zur praclifchen Erkenntnifs zu ver-
helfen; (67) Co erhellet, dafs die practifchen
Ideen keine folche Objecte haben , die von
uns je theoretifch erkannt werden könnten.
253. Diefer Gebrauch, den wir hiervon
den Categorien machen, indem wir behaup-
ten, dafs die practifchen Ideen zwar durch fie
denkbar, aber ohne theoretifche Objecte find,
(252) ilt gerade das, was fchon in der Deduc-
tion derfelben gezeigt worden. (36 feq ) Es
beweifet aber auch zugleich, dafs die Cate-
gorien einstheils keine angebornen Begriffe,
noch anderntheils folche feyn, die erft von der
Erfahrung abltrahirt worden. ' Denn als ange-
borne Begriffe , wären fie auch dann noch theo-
retifch objectiv , wenti man fie gleich auf kei-
ne Erfahrung anwendet; und als von der Er»
fahrung abftrahirte Begriffe, wären fie nicht
a priori.
IV.
'^54. Nun können wir auch leicht elnfe-
hen , dafs die Lehre vom Dafevn Gottes we-
95
der zur Phvfik , noch zur Metaphjfik, fon-
dern zur Moral gehöre. Denn dafs die Meta-
phjfik uns keine AuffchlüiTe über diefenPiuict
gebe , ift fchon in der Critik der reinen Ver-
nunft fattfam gezeigt worden. Eben fo wur-
de dort (i, 617) dargethan, dafs man in der
Phyfik , bey Erklärung der Naturbegebenhel-
ten von Zufälligkeit zu Zufälligkeit, in unbe-
Rimmter Weite, hinauflteigen müfle, ohne je
bey etwas fchlechthin Nothwendieem ftehen
bleiben zu dürfen. Alfo auch die Phjfik gibt
uns über das Dafejn Gottes keinen Auf-
ichlufs.
255. Wohl aber zeigt die Sittenlehre,
wie wir gefehen , den Weg zum ßeweifc vom
Dafeyn Gottes fowohl, als von feinen Eigen-
fchaften. Denn Er mufs al 1 w i ffe n d feyii,
um die moralifche Maxime von der unmora-
lifchen unterfcheiden zu können; mufs all-
mächtig feyn , um Glückfeligkcit nach Mafs-
gabe der SitdichkeitaustheilenzukötHien ; mufs
ewig feyn, um den unendlichen Fortfchritt,
der zur Erreichung des höchßen Guts erfordert
wird , bey wohnen zu können: mit einem Wor-
te, Er mufs das höchste Wefen feyn, def-
fenDafeyn die Metaphylik zu beweifen fuchte^
aber nicht beweifen konnte.
94
V.
2^6. Um jeder Misdeutung vorzubeugen,
müITen wir noch den Unterfchied der Poftula-
te, und der Hypolhefen bejbriiigen.
237. In dem theoretifclien Gebrauche der
Vernunft, liegt eine Reihe von Erfahrungen
vor mir , die , an und für fich , ohne mein
Hinzuthun, objectiv gültig ift. Will ich nun
diefe Erfahrungen , nach dem Gefetze der
Caufalität, an einander ketten ; fo befiehlt mir
das regulative Princip der Vernunft (§. 321)
von Bedingung zu Bedingung hinaufzulteigen,
ohne Ende. Diefer Fortfehritt reicht zu die-
fem Endzwecke fchon hin ; nur dafs er der
ganzen Kette keinen Schlufsring , keine Ein-
heit gibt. Diefe Einheit, die, nur durch die
Annahme eines Unbedingten , unferer E r-
k e n n t n i f s verfchafft wird , gibt den an und
für fich objective exiltirenden Dingen , nicht
den geringften Zuwachs an Objectivität : die
Planeten werden dadurch nicht mehr Plane-
ten , weil wir fie in ein Sjltem gebracht haben.
Wir nehmen es blofs zum Behuf unferer Er-
kcnntnifs , zur leichtern Ueberficht derfelben
an. Alsdann heifst diefe Annahme , wenn
wir fie für wirklich objective halten, eine Hy-
p o t lief e.
238. Hingegen legt mir die Vernunft in
ihrem praclifchen Gebrauche den Begriff
95
des prnctifclien Gefetzes vor, und verlangt,
dafs ihm ein Object verfchafft werden foll.
Diefy Object, das das höchrte Gut iR, foll
wirklich gemacht werden. Wenn nun diefemi
Befehle nicht anders nachzuleben möglich i/t ,
als unter der Annahme gewilTer Vorausfetzun-
gen ; fo gefchieht diefe Annahme nicht will-
kührlich zum Behufe der Erkenntnifseinheit ,
tviebejden Hypothefen, (257) fondern um das
Object, das die Vernunft fucht, wirklich zu ma-
chen. Ich m u f s das Dafejn Gottes , die Un-
llerblichkeit, die Willkühr des Menfchen an-
nehmen , ich mag wollen oder nicht; denn fo
befiehlt es die Vernunft, der ich nicht wider-
fprechen kann , ohne auf den Vorzug eines
vernünftigen Wefens Verzicht zu thun. In
diefem Falle heifst die Annahme ein Po-
stulat,
VL
239. Aus allen unfern Betrachtungen er-
gibt lieh , wie grenzenlos erhaben jene Weis-
heit ift, die alles fo , juft fo eingerichtet hat.
Hätte der weife Urheber der Dinge unfere Ver-
nunft mit der Fähigkeit ausgerüftet , die Will-
kühr, Unfterblichkeit und das Dafejn Gottes
theoretifch zu erkennen , und ihnen Anfchau-
ungen unter zu legen , aber unfere Natur wä-
re doch von der Befchaffenheit geblieben , dafe
90
der Menfcli nach Neigung handeln , .und feine
Glückfeligkeit zum Ziele feiner Handlungen
fetzen müfste; fo wäre alle wahre Morjlität
aus der Welt verbannt geweien. Der anfchau-
liche Beweis , den wir vom Dafeyn Gottes zu
führen, daim im Stande gewefen wären, hät-
te uns die Gottheit in ihrer furchtbaren iMaje-
fiät gezeugt; Handlungengegen die Nei«
gungen wären zu Stande gekommen , aber
blofs aus Furcht: alles wäre nur püichtmäfsig,
nichts aus Pflicht (33) gefchehen.
260. Jetzt hingegen, da lieh die Anfchau-
ungen zu jenen erhabenen Begriffen unferiri
Auge entziehen, da uns kein lebhaftes Bild
derfelben vorfchwebt , verwandelt lieh die
Furcht vor Gott in E h r f uro ht Gottes und
feines Gcbothes. Der JMenlch kann feine Pflicht
erkennen und ihr gemäfs leben, nicht weil er,
durch das furchtbare Bild der Gottheit gezwun-
gen , fo handeln mufs; fondern weil er zur
Ehre Gottes (^.^ö) leben, und dem Gefetze,
daf» Er mit fcharfcn Zugan in unfer Gemüth
gefchrieben hat, nachleben will.
ZWÖLFTE VORLESUNG.
L
(Methodenlehre.)
261. Das Object despractifchenGefetzeSj
wilfen wir, ift das höchlie Gut. (iS'j) Kann
die-
97
dlefes Object auch fubjeetiv practlfch gemacht
werden , kann man bewirken , dafs der Menfch
blofs diefs Object zur Richlfchnur feiner Hand-
hingen macht ; fo erlangt das practifche Gefetz
dadurch Kinflmfs auf die Maximen des Meii-
fchen.
2 02. Die Lehre von den Vernunftprin-
cipien , nach denen man verfahren mufs, um
dem practifchen Gefetze Einflufs (261) zu ver-
fchaffen, heifst die practifche Methoden-
lehre,
363, Sohte diefer Einflufs durch Beloh-
nung oder Befirafung erlangt werden ; fo wür-
de die fo zur Wirkhchkeit gebrachte Handlung,
zwar pflichtmäfsig, aber doch nicht aus Pflicht
gefchehen. (55) Immer würde bej ihr die
Luft an der Belohnung und die Furcht vor
Strafe, und nicht das practifche Gefetz felbft,
den Beftimmungsgrund des Willens abgeben.
264. Aber das braucht es auch gar nicht.
Ohne finnliche Beweggründe einzumifchen,
weidet fich unfer Gemüth , wie die Erfahrung
fattfam lehrt, mit einer Art von innigem Wohl-
gefallen an dem Anblicke von Thaten, die
blofs nach dem practifchen Gefetze vollbracht
werden. Von dem Splitterrichter, der keine
noch lo gute Handlung \^ollkommen billigt,
bis zum Menfchenfreund , der die Fehler des
Nächften mit dem Mantel der Schonung be-
deckt, bev/eifen alle Menfchen die Allgewalt
G
9«
diefes Gefetzes über Tic , in Bcurtheilung
menfchlicher Handlungen. Jener tadelt ohne
Rückficht auf die Schwäche der menfchlichen
Natur zunehmen, diefer lobt, weil er fie mit
in Anfchlag bringt, aber beyde erkennen das
practifche Gefetz als die Norm, nach der ei-
ne Handhmg bcurtheilt werden mufs , und bey-
den gewährt die Zufammenhaltung der wirk-
lichen Handlung mit dem practifchen Gefetze,
die licbße Unterhaltung.
263. Ifi ei> daher thunlich, das practifche
Gefetz in wirklichen Handlungen, durch Hin-
weglalTung aller empirifchen Beltimmungsgrün-
de des Willens, rein darzuftellen ; fo wird der
Menfch , durch die Zufriedenheit , die er im
Anbl'cke folcher Handlungen empfindet, lieh
nach und nach gewöhnen, das practifche Ge-
fetze auch zum Beftimmungsgrund feines eig-
nen Willens zu machen, wird das Gefetz Ein-
flufs erhalten. (26 ; )
2 06. Nur glaube man nicht dem Sitten-
gefetze , durch Vorlegung fogenannter edler,
erhabener Thaten , als Mufter zur blinden
NachäfFung , den gehörigen Einflufs zu ver-
fcltaffen. Diefe glänzenden Bilder reizen die
Einl)ildungskraft, ohne der Veriumft die Kraft
zu verleihen , den Reiz durch Wirklichma-
chung des Wunfehes zu fchwächen. Spürt
man folchen Thaten nicht bis auf den Grund
nach, hält man He nicht mit dem practifchen
99
Gefetze zufammen, und unterfiicht man nicht,
nach diefenn Maafsftabe , ob und warum he
iinfere Billigung verdienen ; Co wirken fie ,
wie jedes Spiel der Einbildungskraft , augen-
blicklich und vorübergehend, ohne in dem
Gemütlie des Menfchen einen dauerhaften^
Itets bleibenden Eindruck zu hinteriafTen.
IL
267. Daher beßeht die wahre Methode
dem practifchen Gefetze Einflufs zu verfchaf-
fen , vorzüglich in folgenden Puncten :
1° Mufs man lieh gewöhnen, fowohl un-
fere eigene, als fremder Leute Handlun-
gen, mit dem practifchen Gefetze zufam-
menzuhalten, um zu prüfen, ob, und
wie weit fie demfelben gemäfs find.
a° Mufs man eine Handlung , die zwar
aus der Pflicht keinen Menfchen zu krän-
ken entfprang, von der unterfcheiden ,
die, ohne Rücklicht hierauf, blofs weil
die That recht iß , begangen ward.
a° Müfsen wir lernen die pflichtmäflVge
Handlung, von der Handlung aus Pflicht
zu fcheiden , müfsen unterfuchen , wel-
che Handlung delshalb begangen ward^
G 2
weil man das practifche Gefetz vor Au-
gen hatte, und welche, zwar der That
nach, damit übereinftimmt, bey der es
aber nicht Beltimmungsgrund des Willens
war.
4P Hat man es endlich fo weit gebracht,
dafs man dergleichen Befchaftigung lieb
gewinnt, und fich mit Wohlgefallen der
Zergliederung der Handlungen unterzieht ;
dann erli zeige man in Bejfpielen Thaten.,
die, ohne finnliche Antriebe, mit Kampf
gegen Neigung und Leidenfchaften, blof»
durch die Vorltellung des practifchen Ge-
fetzes vollbracht wurden. Dadurch \v'\rd
man aufmerkfam auf unfere Willkühr ge-
macht, auf unfere Kraft, nicht der Nei-
gungen und Leidenfchaften Sklave fejn
zu muffen, und lernt fich fchätzen, durch
das Bewufslfejn unferer Unabhängigkeil
von den Neigungen und Leidenfchaften,-
268. Iß der Menfch mm im Stande fich
über Neigungen und Leidenfchaften zu erhe-
ben ; fo wird die Menfchheit, (18 1) ^'^ ^''i" ^'^^^
rcpräfentirt , ein weit herzerhebender Gegen-
ftand der Bewunderung für ihn, als der An-
blick der unb'.^lebten Natur. Hier ficht er
welch unbedeutender Punct er auf jenem, in
der unendlichen Menge der Wellkörper fich
loi
verlierenden Planet iß. Bey BetracKtung der
moralifchen Welt hingegen , fchvvingt er fich
über alles Irrdifche und Sinnliche empor, ket-
tet er fich an eine unendliche , intelligibile
Welt, und labt ßch an der Erhabenheit des
Meniehen*
Erstes Register.
Z Seite,
weck des Werkes, ♦•...... i
Analytik der Grundfätze ♦ . . 4
Von den materialen Principien 10
Von dem formalen Princip* . 4 • . * . « 12
Folgen, •♦♦•♦..♦ 17
Von dem Begriffe eines Gegenflandes der r. p. V. 21
Von der Deduction des practifchen Gefetzes, . 31
Wie ifl es möglich den Begriff der Caiiflüität
auf die intelligibile Welt anzuwenden ? , 41
Von der Typik. . . ♦ 49
Von den Triebfedern der r. p. V 56
Von der Dialectik« •♦.•♦♦,.,. 66
Das höchfte Gut , Thefis. ..*.*., 69
Antithefis ♦ . ♦ 72
Auflöfung der Antinomie. 74
Von den Poftulaten d. p. V« *»,*,* jy
Folgen • . • 84
Methodenlehre, « . . . ♦ 96
Zweytes Register.
Abhängigkeit. 54. xA^chtung 161. AngemefTenheit,
vollige zum pr. G. 213. Antithefis d. p. V. 2Ci.
A\'ronomie 53.
Bedürfnifs. 7. Böfe 7^. Böfe, bedingtes und unbe-
dingtes. 74. 75.
Categoiien, practifche 8o, Caufalität der Vernunft
61.
JDafe3m Gottes. 227. Demüthigung 163.
Ehre Gottes. 236. Eigendünkel und Eigenliebe i^g,
Empirismus 150. Einflufs 261. Empfindung,
angenehme und unangenehme. -^2. Endzweck ,
der Moral 233, letzter 3^. Entheiligung 182.
Erkenntniis, practifche G'j,
r anatismus 249. Form des Begehrungsvermögens. 39.
Vjrefühl, moralifches 167. Gegenftand d. p. V. 65.
Gefchäft, der Critik d. p. V. 11. der Moral
234. Gefetz, practifches 13. 46. Gefetzgeber,
heiliger. 237, Glauben , reiner Vernunft 230.
Glückfeligkeit 29. Grnndfätze , practifche 16,
Gut 73, Gut, bedingtes und unbedingtes 74«
75. höchües 189.
.llandlung, aus Pflicht und pflichmäfsige. 55:. Hei-
ligkeit des Willens. 57. Heteronomie 59, Hy-
pothefe 257.
immanent, practifch 2^8. Imperativ 19. categori-
fcher 2ü. hypothetifcher 2i* Intelligenz 227,
Interefle , moralifches 169.
Kampf 176. — Legal 154. Luft, 32.
iVlaterie des Begehrungsvermögons 23. Maxime 15.
Menfchheit i8r. Methodcnlehre , practifche 2<i2.
Mittel 3. Möglichkeit , pliyfifche 6^, moralifche
71. Myfticismus I49.
iNatiii-mechanismus 124. Nöthigiing, vernünftige 54*
Object , des Begehrungs vermögen s 23. d. p. V. 6S'
Objectivität, practifche 104.
Perfon und Perfönlichkeit 178. Pflicht -^5:. Poftulat
25O. practifches 212. Primat, in theor. Bedeu-
tung 242. in pract. Bedeutung 243. Princip ,
practifches 36.
Kationalismus 148. Religion 231, Richter , der weife
237-
Selbftgenügfamkeit 209. Selbftliebe, vernünftige 160.
Selbftfucht 157. Selbftzufriedenheit 208. Sitten-
gefetz 183. Superftition 249. Schwärmerey ,
überhaupt und moralifche 175.
Thefis der Antinomie d. p. V. 200. Triebfeder 4.
Tugend 195. Typik 148« Typus , des practi-
fchen Gefetzes 141. der intelligibilen Natur 147»
V ergelter , der feiige 2^7. Unluft: 32. ünfterblich-
keit -21 8« Unterwerfung unter das Gefetz lyi^
Unverletzlich j8o. Vorfchrift 18. Urtheilen ,
practifch 66.
Weisheit 235» Wefen, hÖchf>es r>^'^. Wehe 31»
W<2rth , moralifcher einer Handlung 153. Wil-
len I. heiliger 57« reiner 123. WiHkühr 50,
Wohl 30. Wollen i.
2^weck 2. Zweck, Gottes, letzter in der SchÖ-»
pfung 335»
V e r b e f fe r im q; e m
Seite. ftS. Z. 10. CePundheir, lies Geriindheit,
— 47- — 5- V. u. Urfache — Url'ache.
— 66. — 10. Dann — — • Denn.
*-- 93. — 6, V. u. ilea — f^eiii.
s
0)
^
o
CO
•H
-P
o
Co
fH
O,
f-l
CD
^
M
•H
-P
•H
fn
O
CD
•H
'•rt
u
CD
CO
^
?
:?
^
Co
d
[Nl
Q)
Oj
^^
hJ
:3
•\
cc
•
tj
CD
-P
•H
rH
«H
>
?H
rt
cd
o
3
'Tl
>
Ö
fi
^1
CD
a)
«
-v^
>
!>
u^
I> -<} 1
m
Ovi
a
University of Toronto
Library
DO NOT
REMOVE
THE
CARD
FROM
THIS
POCKET
Acme Library Card Pocket
LOWE-MARTIN CO. LIMITED
ü t^
^2
-i-iiuj o
^^
-s
LU
^^v>
> =
^o ^
(/) =
Q. ^-
Z
lj_
^^
_J
o=
CO O
Q
>-
»—
— S5 ^
< =
_i
1-
m — Z
3==
= < CM
= o: T-
i: